0544 - Der Bleiche
Schreie gestoppt worden.
Ein wahnsinniges Bild, das mir persönlich, da bin ich ganz ehrlich, Freude bereitete.
Hinter mir hockte Kyra. Ihre Hände auf meiner Schulter. Sie klammerte sich fest, ich spürte sogar ihre Fingernägel und hörte die wispernde Stimme. »Schaffen wir es?«
»Vielleicht.« Ich wollte ihr nicht zuviel Hoffnung machen, obwohl ich sah, daß mein Kreuz den Weg nach vorn regelrecht freigeschaufelt hatte.
»Kommen Sie mit – los!«
Ich richtete mich nicht auf, sondern kroch voran. Genau in die Lücken hinein, und das Kreuz in der Hand haltend. Ich dachte auch an die Gefahr von den drei anderen Seiten, doch die Wirkung des Kreuzes schaffte es, uns den von dort heranwallenden Nebel auf Distanz zu halten.
War das der Ausweg?
In dieser Welt möglicherweise schon. Aber nicht weg aus dieser Dimension. Wir waren durch den Spiegel in sie hineingedrungen, ich wollte auch wieder durch den Spiegel zurück.
Der Nebel wich!
Es glich einem kleinen Wunder, wie er sich plötzlich zurückzog, als würde gegen ihn ein für ihn allein spürbarer Wind blasen. Vor uns lichtete er sich zu einer herrlich freien Insel, die wir einfach als wunderbar ansahen. Eine Rettung.
Ich hatte mich aufgerichtet. Kyra hockte noch am Boden. Ich streckte ihr die Hand entgegen, die sie annahm und sich von mir in die Höhe ziehen ließ. »Jetzt können wir normal laufen.«
»Und wohin?«
»Fragen Sie mich was Leichteres!«
Der Nebel war aus unserer unmittelbaren Nähe verschwunden.
Unwillkürlich schaute ich, wo die Sicht relativ frei war, in die Höhe, um dort etwas zu entdecken.
Ich sah nichts.
Keinen Spiegel, keine Grenze, kein Zimmer. Die andere Dimension hielt uns in ihren Klauen.
Fragte sich nur, wie es umgekehrt war. Ob man uns von oben auch nicht sah?
Fieberhaft dachte ich über eine Lösung nach. Kyra mußte mir helfen. »Hören Sie! Wie war es denn, wenn Ihr Mann bei Ihnen erschien? Ist er immer aus dem Spiegel gekommen?«
»Das war sein Weg«, erklärte sie nickend, wobei sie sich noch scheu umschaute, da sie dem Frieden nicht traute.
»Und wenn er verschwand? Welchen Weg nahm er dann?«
»Den gleichen…«
»Also in den Spiegel hinein.«
»Aus und ein«, murmelte sie. »Es muß einen Weg geben, um dieser Dimension zu entwischen.« Kyra sah meinen fragenden Blicke auf sich gerichtet, sie konnte nur die Schultern heben, weil sie ratlos war.
»Ich war nie hier, nicht in dieser Welt…«
»Ist es eine Welt?« fragte ich.
»Wie meinen Sie das?«
»Vielleicht befinden wir uns in einem Teil einer gewissen Welt, wenn Sie verstehen?«
»Nein, Mr. Sinclair.«
Ich winkte ab. »Ist auch nicht wichtig. Jedenfalls müssen wir hier rauskommen. Das kann uns möglicherweise nur dann gelingen, wenn wir diesen Teil der Welt zerstören. Anders ausgedrückt, ihm seine Magie nehmen und damit möglicherweise auch den Spiegel zerstören…«
»Sie nehmen ihm die Chance zur Rückkehr!«
Ich lachte, als ich Kyras Worte vernahm. »Glauben Sie denn im Ernst, daß wir Ihren ehemaligen Gatten noch am Leben lassen können? Nein, das ist nicht drin. Er darf nicht mehr existieren. Er bedeutete eine große Gefahr für die Menschen. Er hat den Todesnebel aus dieser Dimension in die normale Welt hineingeschafft. Das ist furchtbar, Kyra. Wir können ihn nicht am Leben lassen.«
»Vorausgesetzt uns gelingt die Flucht.«
»Das ist keine Frage.«
Sie schaute sich um, hob dabei mehrere Male die Schultern und sah ratlos aus.
Das war ich gewissermaßen auch, aber ich hatte mir bereits so etwas wie einen Plan zurechtgelegt. In ihm spielte das Kreuz die Hauptrolle.
Eine Wunderwaffe war es nicht, auch wenn es auf manche Personen so wirkte. Das Kreuz war vor sehr langer Zeit vom Propheten Hesekiel während dessen babylonischer Gefangenschaft hergestellt worden. Er hatte dem Kreuz gewissermaßen sein enormes Wissen konzentriert mitgegeben und war auf zahlreiche, ihm bekannte Magien eingegangen.
Und es gab die Formel.
Wenn ich sie sprach, wurde das Kreuz noch einmal stark gemacht und aktiviert.
»Jetzt bleiben Sie mal dicht bei mir, Kyra!« flüsterte ich. »Nehmen Sie alles, was nun geschieht, konzentriert hin.«
»Gut.« Sie nickte.
Mein Kreuz strahlte jetzt nicht mehr so stark. Der Todesnebel hatte sich zurückgezogen. Dennoch konnten wir kaum besser sehen.
Noch immer umgab uns dieser schlierenhafte Dampf, der uns auch seit unserem Eintritt in diese Welt begleitet hatte.
Kyras Blicke hingen an meinen Lippen, als ich mit
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