0544 - Der Bleiche
halblauter Stimme die Formel sprach:
»Terra pestem teneto – Salus hic maneto!«
In meine Worte hinein peitschte ein gellender Schrei, und die Dimension um uns herum explodierte…
***
Der Bleiche war nicht nur auf der Stelle stehengeblieben, er brüllte auch fürchterlich auf. Hätte er Arme besessen, hätte er sie in die Höhe gerissen, so aber fuhr er zurück, schüttelte sich und mußte, ebenso wie Suko und die Winslows mit ansehen, wie die Spiegelfläche auseinanderbrach.
Es entstanden keine Splitter, wie es normal gewesen wäre. Nein, die Fläche hatte von unten einen ungemein starken Druck bekommen, wellte sich empor wie eine Schlammschicht, so daß sich eine Art Buckel bildete.
Der platzte auf!
Es wuchtete keine Schlammmassen hervor, sondern eine Kaskade von grellem Licht, in dem sich schattenhaft zwei Gestalten abzeichneten. Das Licht war vergleichbar mit einer sprühenden Wolke, die einen Pilz bildete. Er stieg der Decke entgegen, breitete sich dort gedankenschnell aus und lief wie schnell rinnendes Wasser an den Wänden herab, so daß er den Raum mit seinem Licht völlig ausfüllte.
Es war ein flackerndes, zuckendes Licht, schal und silbrig, und die Wolke hatte sich aufgelöst.
Zwei Menschen standen dort, wo sich einmal der Spiegel befunden hatte. Jetzt lag da nur mehr der Rahmen.
John Sinclair und Kyra!
Noch einmal schrie Luke Benson auf. Er hatte seine Frau gesehen und auch den Mann, dem es gelungen war, das Tor in die andere Welt zu zerstören.
Wütend griff er an.
Suko schrie seinem Freund eine Warnung zu!
***
Es war für uns alles sehr schnell gegangen, zeitlich kaum zu erfassen. Jedenfalls hatte die Macht des Kreuzes dafür gesorgt, daß die Verbindung zwischen den Welten nicht mehr existierte.
Wir befanden uns wieder in der normalen – und mußten uns erst zurechtfinden.
Die Schreie hatte ich gehört. Kyra klammerte sich an mich. Dann vernahm ich Sukos Warnruf.
»John, aufpassen!«
Ich fuhr herum.
Im gleichen Augenblick startete Luke Benson. Sein erleuchteter Schädel strahlte von innen heraus wie eine böse Flamme. Fetzenhafte Nebelschwaden bildeten seinen Körper, die in Bewegung gerieten, als er auf uns zurannte.
Kyra wußte nicht, was sie tun sollte, Ich schleuderte sie einfach weg. Sie torkelte durch den gesamten Raum und prallte den Winslows in die Arme.
Jetzt konnte ich mich um Benson kümmern.
Er hatte mich erreicht, aber er hatte auch den Gegenstand erreicht, dem ich ihm entgegenstreckte.
Das Kreuz stieß ungefähr in Brusthöhe und zusammen mit seiner Hand in den nebelhaften Körper hinein.
Es war ein Volltreffer, wie ihn ein Boxer im Ring erlebte, der seinen Angriffsschwung plötzlich und unerwartet gestoppt sah.
Widerstand spürte ich keinen. Dennoch wurde der Angreifer hart erwischt.
Es war eben die Kraft meines geweihten Talismans, die ihn auf die richtige Größe zurechtstutzte.
Hand und Kreuz waren noch immer im Nebel verschwunden, als es schon geschah.
Aus der Gestalt drehten sich graue Fetzen hervor. Schleier aus Todesnebel, die durch den Raum huschten und trotzdem keine direkten Schleier waren, sondern dünne, fast wie aufgepinselte Gesichter zeigten, die sich zu böse Fratzen verzerrt hatten.
Mäuler, Augen, Gesichter, nur für winzige Sekunden zu sehen und dann wie weggeblasen.
Was blieb, war der Schädel!
Dieser von innen leuchtende Kohlkopf, gelb und dennoch bleich, voller Bewegung, voller Feuer, denn daran erinnerten mich die roten Adern, die wie Drähte durch den Schädel huschten.
Die »Drähte« blieben nicht lange. Die Kraft des Kreuzes sorgte für eine radikale Zerstörung.
Waren es Schreie, die der Mund ausstieß?
Ich hörte Laute und drückte meine rechte Hand mit dem Kreuz noch höher.
Der Schädel bekam den direkten Kontakt.
Er zersprang – und er löste sich dabei auf, denn die einzelnen Teile, die gegen mein Gesicht wehten, berührten mich nicht einmal, so schnell waren sie verschwunden.
Aus – vorbei.
Jemand klatschte in die Hände. Es war Suko, der mir gratulierte und auch nickte. »Du machst dich gut in einem Bilderrahmen, alter Junge«, erklärte er mir grinsend. »Besser jedenfalls als dieses verdammte Dimensionstor, finde ich.«
»Glaube ich auch.« Ich stieg aus dem Rahmen. Erst jetzt sah ich die junge Frau in der Ecke sitzen.
Genau in dem Moment, als ich den Rahmen verließ, sanken ihre Hände, die sie bisher vor das Gesicht gehalten hatte, nach unten.
Der Schreck fuhr mir bis in den Magen. Nicht nur mir, denn
Weitere Kostenlose Bücher