0547 - Der Vampir-Gnom
möglich. Sie mußten mit ihm leben oder ihn auslöschen.
Ihr Vater hatte sich für die letzte Möglichkeit entschieden. So war er nun mal, so hatte er sein Leben verbracht. Falsche Rücksichten kannte er nicht, auch nicht in seinem Alter.
Lisa hing sehr an ihm. Nach dem Tod der Mutter war sie wieder hergezogen, um sich um ihn zu kümmern. Es gab keinen anderen aus der Familie Manford mehr, sie war übriggeblieben und brachte es nicht fertig, den alten Herrn allein zu lassen, obwohl ihr die Größe und die Einsamkeit des Hauses oft auf die Nerven gingen.
Nach ihrem Geschmack war das Haus nicht gebaut und auch nicht eingerichtet worden. Wenn schon ein Herrenhaus, dann im verspielteren Barockstil, aber nicht dieser Zweckbau ohne viel Schnörkel.
Ihre Räume allerdings hatte sie anders eingerichtet. Sie bewohnte eine regelrechte Zimmerflucht. Die fünf Räume waren miteinander durch Zwischentüren verbunden. Da Lisa Enge haßte, standen die Türen stets offen, und sie ließ in allen Zimmern das Licht brennen, weil sie zu den Menschen gehörte, die Dunkelheit haßten.
Zögernd betrat sie ihr Zimmer. Vielleicht wäre es besser gewesen, unten in der Halle zu bleiben. Hier oben fühlte sie sich doch etwas einsam. Wenn allerdings jemand ins Haus eindringen wollte, mußte er durch die Halle, da würden ihn die Männer schon stellen. Ansonsten war Harry auch noch da. Er hielt draußen Wache.
Aus ihm wurde sie nicht schlau. Ihr Vater hielt viel von seinem Butler und Leibwächter, sie allerdings weniger. Lisa mochte den Blick nicht, mit dem Harry sie hin und wieder betrachtete. Er war ihr einfach zu kalt und auch lauernd. Manchmal schien es ihr, als wollte er sie mit den Augen ausziehen.
Auch verständlich, denn Harry lebte nicht mit einer festen Partnerin zusammen.
In dem mit modernen Möbeln eingerichteten Wohnraum, ging sie an den Barschrank, wo in einer Karaffe der alte französische Rotwein schimmerte. Vor dem Schlafengehen trank sie gern einen Schluck, das gab ihr das Gefühl der Müdigkeit.
Sie füllte das geschwungene Glas bis zu einem Drittel, nahm den Duft des Weines auf und trank den ersten Schluck. Er besaß die Temperatur, die er brauchte.
Ein wunderbarer Tropfen, auch nicht billig, doch Geld spielte bei ihnen keine Rolle. Dafür hatten sie andere Probleme, an die Lisa wieder dachte, als sie auf eines der Fenster zuschritt, davor stehenblieb und nach draußen schaute.
Die Nacht war sehr dunkel und trotzdem irgendwie hell. Es mußte am Licht des Mondes liegen, das wie ein feiner Schleier der Erde entgegenfiel. Ihre Zimmer lagen auf der Rückseite des Hauses. Bei Tageslicht konnte sie bis zu den Höhlen schauen, in ein totes Gebiet, wo der Vampir angeblich leben sollte.
Daß er existierte, war für sie schwer vorstellbar. Wenn er aber vorhanden war, gab es keine bessere Umgebung für ihn als eben das Gebiet der alten Höhlen.
Sie trank sehr langsam und genoß jeden Schluck. Nur ein Lächeln wollte bei ihr nicht aufkommen. Diese Nacht gefiel ihr überhaupt nicht. Sie war anders als die vorherigen. Lisa glaubte schon daran, daß durchaus etwas passieren konnte.
Wieder entstand das Bild des John Sinclair vor ihrem Auge. Würde dieser Mann es tatsächlich schaffen, den Vampir, falls er vorhanden sein sollte, zu stoppen?
Er war ihr sympathisch. Sie mochte seinen klaren, offenen Blick.
Das war nichts Hinterhältiges und Falsches. Lisa kannte sich da aus.
Sie hatte oft genug Freunde besessen, doch die waren anders gewesen. Zum Großteil hatten sie es auf ihr Vermögen abgesehen, das sie einmal erben würde.
Der Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß Mitternacht längst vorüber war. Eigentlich hätten sich die Männer, die ihr Vater engagiert hatte, schon auf dem Rückweg befinden müssen. Sie waren mit einem alten Daimler gefahren, und Lisa suchte jetzt nach dessen Scheinwerfern.
Nichts hellte die Finsternis hinter dem Haus auf. Die Dunkelheit lag wie ein Sack über der Erde.
Lisa spürte, daß sie frische Luft brauchte, deshalb öffnete sie einen der beiden Fensterflügel. Der Nachtwind drückte ihr auch den zweiten entgegen, so daß sie sich hinauslehnen konnte.
Ihr Haar wurde zurückgestrichen. Sie schaute in die weite Dunkelheit hinein. Unterschiedliche Geländeformen waren kaum festzustellen. Sie ahnte die Berge mehr, als daß sie sie sah.
Dunkle Buckel reihten sich aneinander, so daß sie eine wellige Formation bildeten. Dahinter wuchsen die höheren Berge hervor.
Wuchtig, trutzig, wie für die
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