0547 - Der Vampir-Gnom
Gebüsch zirpten Grillen.
Eine völlig normale Nacht, abgesehen von diesem klaren Himmel, der in diesem Sommer leider nur selten zu sehen gewesen war.
Harry konnte keinen Grund erkennen, mißtrauisch zu sein. Deshalb riskierte er es, sich eine Zigarette anzuzünden. Die Glut schirmte er mit der hohlen Hand ab.
Er umging ein kleines, mit bunten Sommerblumen bepflanztes Rondell und hatte die Westseite des Hauses erreicht. Hier mündete auch einer der schmalen Zufahrtswege. Die beiden Killer hatten den Auftrag bekommen, an dieser Stelle zu halten.
Wald schirmte das Gebäude an dieser Seite gegen die starken Herbst- und Winterstürme ab. Die Bäume waren hochgewachsen und knorrig. Sie hatten schon Jahrhunderte überdauert und würden auch noch ebenso lange stehen, davon ging Harry aus. Deckung gaben sie ihm genug. Wo er stand, wölkte hin und wieder der Rauch seiner Zigarette auf, von der er noch einen Zug nahm und sie dann austrat.
Harry haßte es, lange zu warten. Es blieb ihm nur keine andere Möglichkeit, und so ergab er sich in sein Schicksal. Ein heimlicher Beobachter hätte annehmen können, der Butler sei eingeschlafen.
Eine große Täuschung, denn trotz der etwas schläfrig wirkenden Haltung war Harry hellwach und achtete auf jedes Geräusch.
Die Tiere der Nacht waren erwacht. Ungesehen huschten sie durch das Unterholz. Hasen, Füchse, auch Rotwild lebte in den Wäldern, und die am Himmel kreisenden Greifvögel fanden stets genügend Nahrung.
Etwa eine halbe Stunde war vergangen, als Harry zusammenzuckte. Er wußte selbst nicht, was ihn gestört hatte, sicherheitshalber aber zog er sein Messer.
Er lauschte.
Es dauerte Sekunden, dann hatte er den Grund herausgefunden.
Ihn machte die Ruhe mißtrauisch.
Nun war die Nacht nicht laut, er wunderte sich nur, daß die Geräusche der nicht schlafenden Tiere verstummt waren. Noch ein Kauz flog über seinem Kopf hinweg. Er hörte den Schlag der Flügel, dann nichts mehr, bis auf das Surren der Insekten.
Harry hatte sich kerzengerade hingestellt. Seine Gesichtszüge waren angespannt, in den Augen lag ein kaltes Leuchten. Der Nachtwind strich durch das Blätterwerk über ihm, ließ es leise rascheln und berührte auch seine Haut wie mit kühlen Fingern.
Weshalb waren die Tiere verstummt? Hatten sich versteckt, verkrochen? Er kannte sich aus. Wenn die Vierbeiner so reagierten, lag Gefahr in der Luft. Eine Gefahr, die er noch nicht bemerkt hatte, den Tieren aber nicht verborgen geblieben war.
Der Butler dachte darüber nach, die Stellung zu wechseln. Von den Killern sah er noch nichts. Er hätte, wenn sie sich in der Nähe befanden, zumindest das Licht der Scheinwerfer sehen müssen. Als er in die entsprechende Richtung schaute, war alles finster.
Mit der Zungenspitze fuhr er über die dünnen Lippen. Eine Angewohnheit von ihm, die immer dann auftrat, wenn sich die Spannung allmählich verdichtete.
So wie jetzt…
Hatte es hinter ihm nicht geraschelt? Er fuhr herum und ärgerte sich darüber, keine Taschenlampe mitgenommen zu haben. Das Rascheln war keine Täuschung gewesen. Jemand war dabei, durch den Wald zu gehen und hatte Harry schon fast erreicht.
Wie über dem Boden schwebend sah er das bleiche Gesicht und die hellen Haare.
So sah Gunnar Clear aus, der mit etwas staksigen Schritten auf Harry zukam.
Der Leibwächter war beruhigt und gleichzeitig auch besorgt, denn er fragte sich, weshalb Gunnar nicht den Wagen genommen hatte und zu Fuß zurückkehrte.
»Gunnar?«
Der Killer gab ihm keine Antwort. Er legte die letzten Schritte zurück, schob dabei Zweige zur Seite und knackte auch einen Ast, der ihm entgegenwuchs.
Dann war er da.
»Was ist mit eurem Wagen? Was…« Harry stoppte die nächste Frage mitten im Satz.
Hinter sich hatte er das Geräusch gehört.
Gefahr?
Er wollte sich drehen, es war zu spät, denn zwei eiskalte Vampirklauen legten sich um seinen Hals.
Gleichzeitig kam Gunnar einen halben Schritt näher und öffnete den Mund. Ungläubig starrte der Butler auf die beiden Vampirzähne…
***
Lisa Manford dachte an John Sinclair, als sie die Stufen der Treppe hochschritt. Ob dieser aus London kommende Mann es tatsächlich schaffen konnte, den Fluch zu brechen?
Sein Vater jedenfalls war davon überzeugt gewesen, das wiederum hatte Lisa von ihrem Vater erfahren. Sie und er hatten in der letzten Zeit oft genug zusammengesessen und über dieses Thema diskutiert. Man konnte den alten Fluch nicht hinwegwischen.
Das war einfach nicht
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