0547 - Der Vampir-Gnom
ist erwachsen und ein Bulle. Der wird auf sich achtgeben können.« Den Satz hörte ich beim Hinausgehen und auch die Antwort meines Vaters.
»John ist kein Bulle, Brod. Merk es dir.«
»Ja, schon gut.«
Mit einem Lächeln öffnete ich die Tür. Ich freute mich darüber, von meinem Vater so verteidigt zu werden. In der nächsten Sekunde nahm mein Gesicht einen ernsten Ausdruck an.
Ich schaute hinaus in die Nacht. Noch traf das Licht der Laternen den unmittelbaren Dunstkreis der Eingangstür. Ich sah die leere graue Steintreppe, die wuchtigen Geländer, den hellen Kies, dahinter die Finsternis. Mit einem etwas komischen Gefühl, ließ ich die Treppe hinter mir zurück und wandte mich nach links.
Um das Ziel zu erreichen, mußte ich parallel zur Hauswand gehen. Niemand hielt sich dort auf. Kein Schatten duckte sich in deren Deckung. Alles war leer, aber auch friedlich?
Ich lockerte die Beretta in der Halfter und tauchte in die Dunkelheit. Meine Blicke waren überall. Als ich das Ziel erreichte, hatte ich von einem Vampir nichts gesehen.
Stille umgab mich. Auch die Geräusche der nächtlichen Tierwelt hielten sich in Grenzen, was mich wiederum ein wenig beunruhigte.
War vielleicht doch etwas passiert?
Ich ging noch einige Schritte weiter, holte jetzt die kleine Leuchte hervor und ließ den kräftigen Halogenstrahl in die vor mir liegende Finsternis schneiden.
Als ich den Mann sah, stockte mir der Atem. Er lag auf dem Bauch. Obwohl er nicht mehr die Kleidung des Butlers trug, wußte ich sofort, wen ich vor mir hatte.
Harry rührte sich nicht mehr. Ich ging sehr vorsichtig und nach allen Seiten sichernd auf ihn zu, bückte mich dann, fühlte an der Halsschlagader nach und stellte fest, daß sich in seinem Körper kein Funken Leben mehr befand.
War er tot oder untot?
Ich packte ihn an der Schulter, rollte ihn auf den Rücken – und sah das Messer in seiner Brust.
Dieser Mensch war nicht zu einem Untoten geworden. Ein natürlicher, wenn auch nicht normaler Tod hatte ihn aus dem Leben gerissen.
Langsam glitt mir der Körper aus der Hand und wieder zurück in seine alte Lage. Der Hausherr hatte sehr viel von seinem Leibwächter und Butler gehalten. Er hatte ihn als reaktionsschnell und kampfstark beschrieben. Wieso war er dann auf diese Art und Weise ums Leben gekommen?
Die Frage konnte ich nicht beantworten. Ich suchte im Schein der Lampe noch einmal seinen Hals genauer ab. Würgemale waren zu entdecken, aber keine Bißstellen, die auf einen Angriff eines Vampirs hingedeutet hätten.
Für mich war der Vorgang ein Rätsel.
Die unmittelbare Umgebung des Tatorts interessierte mich wegen der Spuren. Viel gab es nicht zu entdecken. Dem wenigen entnahm ich, daß hier ein Kampf stattgefunden haben mußte.
Wer gegen wen?
Hatte ihn der Vampir mit dem Messer getötet? Das wäre unwahrscheinlich gewesen. Vampire lechzen nach Blut, sie saugen es den Menschen aus den Adern.
Oder besaß der Wiedergänger einen Helfer? Ebenfalls einen Killer? Vielleicht sogar die beiden, die Broderick Manford losgeschickt hatte. Den Spuren nach zu urteilen, mußten sich am Tatort mehrere Personen aufgehalten haben.
Eine Antwort auf diese Frage bekam ich nicht. Ich verließ die Deckung der Bäume, um wieder in das Haus zu gehen. Die Eingangstür hatte ich, das wußte ich genau, nicht hinter mir geschlossen. Gut so, wie sich im Nachhinein herausstellte.
So konnte ich den lauten Hilfeschrei meines Vaters besonders gut hören…
***
»Dein Sohn traut mir nicht, Horace«, sagte der alte Manford, lachte und trank einen Schluck Whisky.
»Wie kommst du darauf?«
»Reine Gefühlssache.«
»Und wenn du dich irrst?«
»Nein, Horace. Wir sind zu verschieden. Er hat die Aufgabe nur ungern übernommen, das spüre ich sofort.«
»Eigentlich nur mir zu Gefallen.«
»Da haben wir es. Willst du auch einen Kleinen?«
»Ja, gut.« Sinclair griff zur Whiskyflasche. Er schenkte das Glas aber nur fingerbreit voll. »Magst du meinen Sohn denn?«
Manford wiegte den Löwenkopf. »Das ist schwer zu beantworten. Er hat sicherlich seine Qualitäten, aber ein Beißer ist er nicht.«
»Wie meinst du das?«
Manford bewegte beide Ellenbogen ruckartig zu den Seiten hin.
»So ähnlich.«
»Ja, da kannst du recht haben. Wenn es aber darauf ankommt, ist John topfit. Das laß dir mal gesagt sein. Der hat schon Dinge gedreht, wo andere abschnallten. Wenn ich an die Fälle denke…« Horace Sinclair unterbrach sich selbst, als er trank.
Manford schaute ihn
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