0547 - Der Vampir-Gnom
länger in ihren Augen. Es rann in kühlen Streifen an den Wangen herab und sickerte auch gegen ihre trockenen und blassen Lippen.
Der Blutsauger rührte sich noch immer nicht. Er hielt die langen Arme gespreizt, der Umhang war ebenfalls ausgebreitet, und über die Lippen des Wiedergängers drang plötzlich ein ungewöhnliches Geräusch. Es waren singende Töne, die in die Stille der Nacht hineinwehten und nur allmählich verklangen. Längst empfand sie die Luft als nicht mehr so klar. Ein Hauch von Moder und Tod wehte in ihr.
Zumbra ging plötzlich vor. Gleichzeitig drückte er die Arme wieder an seinen Körper, und der Umhang faltete sich zusammen. Mit gemessenen Schritten entfernte er sich von der Felsplatte, um sich ein neues Ziel zu suchen.
Es war dieser alte, unheimliche Friedhof…
Lisa bewegte ihren Kopf nach rechts, um den Weg des Zwergs verfolgen zu können. Er ging ziemlich schnell. Es würde nicht lange dauern, dann hatte er den Friedhof erreicht.
Die Grabsteine standen wie stumme Zeugen einer alten, längst vergessenen Zeit. Manche von ihnen erreichten die Größe des Vampirs. Als er zwischen ihnen verschwand, war er kaum zu sehen.
Lisa richtete sich etwas auf.
Jetzt konnte sie ihn auch besser erkennen. Er stand zwischen den Steinen, berührte zwei von ihnen mit seinen Händen und gab plötzlich Töne von sich, die an das Heulen der Wölfe erinnerten. Sie jagten über die Liegende hinweg. Lisa konnte sich keinen Reim darauf machen. Der Blutsauger blieb in dieser Art von Trance, die etwas zu bedeuten hatte.
Auf einmal sah Lisa die dünnen Schwaden, die zwischen den alten Grabsteinen hochstiegen. Es waren zitternde Raucharme, die sich, als sie zusammentrafen, zu Wolken verdichteten.
Wolken, die über den alten Totenacker trieben. Zuerst wollte Lisa es nicht glauben, es mußte einfach eine Täuschung sein, aber hatten sich die Steine nicht bewegt, als würden sie von unten her einen gewissen Druck bekommen?
Sie konnte es nicht genau sagen. Möglicherweise lag sie auch zu weit von dem Schauplatz entfernt, aber sie war sicher, daß der Blutsauger eine besondere Magie eingesetzt hatte.
Auch Lisa blieb von ihr nicht verschont. Strömungen erreichten ihr Gehirn.
Zuerst wollte sie sich dagegen wehren und eine Sperre errichten, was der Vampir nicht zuließ. Auf telepathischem Wege nahm er Kontakt mit ihr auf und gab ihr Befehle!
Die nahm sie auch an. Sie konnte sich nicht mehr wehren, rollte an den Rand der Platte und schwang ihre Beine darüber hinweg. Die Füße bekamen Kontakt. Genau in dem Augenblick, als sie der neue Befehl des Vampirs erreichte.
›Komm her‹!
Lisa gehorchte. Sie ging wie unter einem Bann stehend. Ihr eigener Wille war ausgeschaltet. Schon nach sehr kurzer Zeit erreichte sie die ersten Schwaden, in die sie eintauchte. Der geruchlose Rauch umwehte ihre Gestalt wie ein Mantel.
Zumbra erwartete sie.
Er streckte ihr einen seiner langen Arme entgegen und lockte mit dem Zeigefinger.
Sie verstand das Zeichen.
Noch wenige Schritte, dann hatte sie ihn erreicht. Mit ihrem Körper streifte sie an den Grabsteinen entlang, die ihr im Wege standen.
Das Material war rauh und kantig, sie spürte es nicht, weil die Gedanken des Vampirs von ihr Besitz genommen hatten.
Er wartete auf sie. Umflort von Wolken, die tatsächlich aus dem Boden stiegen und die Grabsteine umhüllten. Lisa Manford senkte den Blick. Sie wollte sehen, woher der Rauch stammte, und sie entdeckte die Spalten im Boden.
Da war die Erde aufgerissen…
Lisa bekam es mit der Angst zu tun. Sie dachte wieder an den alten Fluch, an Vampire allgemein und glaubte auch zu wissen, daß sie es schafften, die Gräber zu verlassen.
Wieder nahm Zumbra auf telepathischem Wege Kontakt mit ihr auf. ›Du bist die letzte in der Reihe. Wenn du ausgelöscht bist, gibt es keine Person mehr, die den schändlichen Namen Manford weiter in die Welt tragen kann. Mit dir ziehe ich den Schlußstrich, Lisa. Bevor du aber stirbst, sollst du noch etwas zu sehen bekommen. Schau genau hin, denn auf diesem alten Friedhof liegen diejenigen begraben, die einmal deine Vorfahren gewesen sind. Sie alle gerieten unter meine Knute. Ich habe sie magisch beeinflußt, aber nicht zu Vampiren gemacht. Es wäre keine rechte Strafe für sie gewesen. Ich habe sie in die Gräber gesteckt, wo ihre Körper verwesten, die Geister aber blieben. Was hier aus dem Boden steigt, sind die Geister deiner Ahnen, Seelen, die niemals Ruhe finden werden und in alle Ewigkeiten
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