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055 - Labyrinth des Todes

055 - Labyrinth des Todes

Titel: 055 - Labyrinth des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Davenport
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erste Hälfte des Albums bestand aus Fotos, die Tote zeigten, die kunstvoll aufgebahrt waren. Ich sah mir eines der Fotos genauer an. Der Tote sah wie ein Schlafender aus. Das Gesicht war entspannt. Ich hatte in meinem Leben einen Haufen Leichen gesehen, aber die meisten sahen im Tod alles andere als hübsch aus. Normalerweise sind die Gesichter verzerrt, vom Tod gezeichnete Fratzen. Ich nahm nun noch andere Fotos unter die Lupe. Die Gesichter sahen alle gelöst aus.
    »Sagen Sie mal, Pickard«, sagte ich, ohne aufzusehen, »die Toten sehen ja alle so aus, als würden sie nur schlafen. Wie ist das möglich?«
    Ich hob rasch den Blick, und er strahlte mich selbstzufrieden an.
    »Der Chef ist ein wahrer Meister«, sagte Pickard. »Er setzt alle seine Fähigkeiten ein, damit die Toten schöner als zu Lebzeiten aussehen. Seine Devise ist den Hinterbliebenen einen unvergeßlichen Anblick des Verstorbenen zu hinterlassen. Wie gesagt, er ist ein Meister, und ich bin sicher, daß Sie mit seiner Arbeit sehr zufrieden sein werden.«
    Ich nickte, blätterte weiter, und plötzlich fingen meine Hände zu zittern an. Ich hatte Coco entdeckt, die in einem Sarg mit Glasdeckel lag. Die Hände hatte sie über der Brust gefaltet. Sie trug ein weißes Kleid, und in ihrem schwarzen, kunstvoll frisierten Haar steckte eine glühendrote Orchidee. »Dieses Mädchen kenne ich«, sagte ich gepreßt. »Sie ist eine Bekannte von mir. Ich wußte nicht, daß sie tot ist.« Pickard beugte sich vor.
    »Das ist Miß Coco Zamis«, sagte er. »Sie starb vor einigen Tagen, und wir hatten die Ehre, sie zur letzten Ruhe zu führen.«
    »Aber das ist doch nicht möglich!« rief ich aus. »Vor drei Wochen unterhielt ich mich noch mit ihr in London. Es ist doch einfach unmöglich, daß sie tot ist!«
    »Es ist aber so, Sir«, sagte er.
    »Sie war doch noch so jung! Woran ist sie gestorben?«
    »Bedaure«, sagte Pickard, »das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
    »Aber Sie müssen doch einen Totenschein bekommen haben. Könnten Sie für mich feststellen, woran sie starb?«
    Er blickte reserviert drein. »Ich werde mich bemühen, Sir.« Er stand auf. »Entschuldigen Sie mich einen Moment!«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir auch sagen könnten, welcher Arzt den Totenschein ausgestellt hat.«
    Er verließ das Zimmer. Ich blätterte das Album rasch durch und sah mir dann wieder Cocos Foto an. Sie wirkte fast überirdisch schön. Der Sarg stand auf einem Katafalk und war von unzähligen verschiedenfarbigen Lilien umgeben, die kunstvoll arrangiert waren. Irgendwie wirkte das Ganze wie eine Festtafel, die mit Blumen geschmückt war.
    Mir wurde übel. Ich dachte an die Leiche im Sarg. Jetzt war ich ziemlich sicher, daß es tatsächlich Coco gewesen war. Das Foto sprach eindeutig dafür. Und plötzlich kam mir ein Verdacht.
    Ich schloß die Augen und lehnte mich zurück. Schweiß stand auf meiner Stirn. Zu deutlich hörte ich noch die Worte einer meiner Brüder, als wir damals im Autobus gemeinsam nach Asmoda unterwegs gewesen waren.
    »Leichen sind etwas Wunderbares«, hatte Edward Belial geschwärmt. »Ich liebe meinen Beruf als Leichenbestatter, denn er ist der einzige, der den Toten einen Hauch von Leben schenken kann.« Edward Belial war ein Ghoul, das wußte ich genau.
    Ich wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn und atmete schwer.
    Pickard kam zurück. Sein Gesicht drückte Bedauern aus.
    »Leider kann ich Ihnen nicht helfen, Sir«, sagte er. »Wir haben keine Unterlagen mehr. Aber soweit ich unterrichtet bin, starb Miß Zamis an einem Herzversagen.«
    Er beugte sich besorgt vor und starrte mich an. »Sie sind plötzlich so bleich, Sir. Ist Ihnen nicht gut?«
    »Es geht schon wieder«, sagte ich. »Es war für mich ein Schock, daß Coco Zamis tot ist. Ich kann es noch immer nicht glauben.«
    Er lächelte verständnisvoll.
    »Das kann ich Ihnen nachfühlen«, sagte er freundlich. »Ich möchte Ihren Chef sprechen«, sagte ich. Pickard schüttelte entschieden den Kopf.
    »Das ist leider nicht möglich, Sir«, meinte er. »Er ist eben dabei, eine Verblichene für die letzte Ruhe vorzubereiten, und da darf er unter keinen Umständen gestört werden.«
    »Wie ist der Name Ihres Chefs?« fragte ich und beugte mich vor.
    »Belial«, sagte er, und plötzlich blitzten seine Augen spöttisch. »Edward Belial.«
    Ich lehnte mich zurück. Meine Vermutung war richtig gewesen. Es war mein Bruder, der Leichenfresser.
    »Ich muß Belial sprechen«, sagte ich

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