055 - Labyrinth des Todes
jedes Menschen auf der Welt spielen.
Die Gesichter wechselten weiter. Viele davon kannte ich. Es waren meine Freunde und Mitarbeiter, Mädchen, die ich vor vielen Jahren gekannt hatte.
Schließlich hatte Asmodi einen Säuglingskopf auf, der sich langsam veränderte. Es war mein Gesicht. Ich wurde rasch älter. Bald war ich ein zehnjähriger Knabe. Die weichen Linien verschwanden, die Haare wurden dunkler. Ich trug einen schmalen Oberlippenbart, dann einen Vollbart. Die Augen blickten kühler drein, die ersten Falten erschienen. Dann glich das Gesicht meinem jetzigen Aussehen, doch es veränderte sich weiter. Die Falten unter meinen Augen vertieften sich, die Tränensäcke wurde dunkler, die Wangen schmaler, die Haare durchzogen sich mit silbernen Fäden, wurden grau und dann schneeweiß. Die Haut wurde faltig und schlaff, der Bart verschwand, und das Kopfhaar lichtete sich. Ein siebzigjähriger Mann starrte mich an, bittere Linien um Mund und Nase, die Augen schmerzerfüllt. Dann fiel das restliche Haar aus, Käfer und andere Insekten fraßen sich ins Fleisch, und Sekunden später hatte ich einen Totenschädel vor Augen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte ich mein Gesicht von der Geburt bis zum Tod gesehen.
»Ich verfolgte deinen Werdegang«, sagte Asmodi. Seine Stimme klang wie das Grollen eines Gewitters, sein Gesicht war wieder nur ein konturenloser Fleck. »Anfangs amüsiert. Es erheiterte mich, daß du den Kampf gegen die Schwarze Familie aufnahmst. Dazu gehört Mut – und Mut bewundere ich. Es war auch nicht schlecht für die Familie, daß endlich nach vielen Jahren wieder ein Feind aufgetaucht war. Sie war zu fett und bequem geworden, und du warst der kleine Hecht im Karpfenteich. Zu klein und unbedeutend, um die großen Karpfen zu stören, aber immerhin groß genug, um einige der kleineren Karpfen zu verschlingen. Soweit war alles in Ordnung, aber du begingst einen großen Fehler.« Er schwieg einen kurzen Augenblick und fuhr dann fort: »Du gingst einen Schritt zu weit.« Seine Stimme war noch lauter geworden. »Du wagtest es, mich persönlich anzugreifen.
Du hast meine geliebte Irene auf dem Gewissen und bist außerdem für das Spektakel auf Borneo verantwortlich. Du wurdest lästig. Daher beschloß ich, dich ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Du hattest einst die Chance, dich unserer großen Familie anzuschließen, doch du nahmst statt dessen den Kampf gegen uns auf. Einen Kampf, in dem du von Beginn an keine Chancen hattest. Eine Mücke gegen einen Elefanten. Zum Teil ist es schade um dich. Du hättest es in unserer Familie weit bringen können. Doch jetzt bleibt mir keine andere Wahl, als deinen Tod zu fordern.«
Der verwaschene Fleck geriet in Bewegung. Farben flossen durcheinander. Es sah schaurig schön aus, wie ein Kaleidoskop.
»Ich übergebe dich Edward Belial«, donnerte Asmodis Stimme. »Er haftet mit seinem eigenen Leben dafür, daß du den Tod erleidest, den du verdienst.«
Die Luft flimmerte erneut, der rote Lichtschein erlosch, und Schwefelgeruch hing wieder in der Luft. Asmodi löste sich auf. Es war, wie vorher, dunkel und völlig still im Raum, bis die Geräusche wieder einsetzten. Von Geisterhand wurden die Fackeln entzündet. Sie verbreiteten eine unheimliche Atmosphäre.
Die Monstergestalten hatten sich inzwischen zurückverwandelt, in eine Versammlung von ehrenwerten Bürgern, die gekommen waren, um sich zu amüsieren.
Hände griffen nach mir und hoben mich hoch. Cocos Attrappe wurde entfernt. Statt dessen legte man mich auf den Marmortisch.
Ich konnte mich nicht bewegen. Das Kinn lag auf meiner Brust, und meine Augen standen halb offen. Und plötzlich verstummten auch die Geräusche um mich herum. Eine unsichtbare Barriere schloß mich von der Umwelt ab. Ich sah die Mundbewegungen der Dämonen, sah, wie sie lachten, gelegentlich zu mir hinblickten, doch ich verstand kein Wort. Aber im Grunde war es kein unangenehmer Zustand. Ich hatte weder Hunger noch Durst und fühlte mich schwerelos.
Der Herr der Finsternis hatte mich Belial übergeben, aber ich hatte keine Ahnung, wann der Tod kommen würde. Vielleicht in wenigen Augenblicken, es konnte auch noch Stunden dauern. Es gab verhältnismäßig viele Dämonen, die sich an der Angst ihrer Opfer weideten und die Angstausstrahlung wie Balsam aufsogen.
Im Raum war es wieder dunkler geworden, als die Dämonen sich mir näherten. Einige besudelten meinen Körper, was mich aber nur wenig störte, da ich nichts spürte. Sie
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