055 - Labyrinth des Todes
nicht unbedingt mein Geschmack.
»Wie wär’s mit einem Bier?« fragte ich.
Mürrisch nahm er eine Flasche aus dem Kühlschrank und stellte sie vor mich auf den Tisch. Dann holte er ein hohes Glas und einen Flaschenöffner.
Ich öffnete die Flasche und schenkte ein. Er blieb wie ein trotziges Kind neben dem Fenster stehen. Seine Blicke wanderten unruhig hin und her. Selten hatte ich einen nervöseren Menschen gesehen. Seine Hände schlossen und öffneten sich ununterbrochen, und mit dem rechten Fuß wippte er auf und ab.
Er hat ein verflucht schlechtes Gewissen, dachte ich und forderte ihn auf: »Schießen Sie los, Lundsdale!«
»Es gibt nicht viel zu erzählen«, meinte er.
»Schon möglich. Dann erzählen Sie das wenige!«
Seine Hände bewegten sich noch rascher.
»Mann«, sagte ich, »beruhigen Sie sich! Ich will Ihnen nicht den Kopf abreißen. Ich will nur wissen, was mit Coco geschah.«
Meine Worte hatten ihn jedoch nicht besänftigt. Ganz im Gegenteil. Jetzt konnte er überhaupt nicht mehr ruhig dastehen. Er ging im Zimmer auf und ab. Ich sah ihm zwei Minuten zu, dann war meine Geduld zu Ende. Ärgerlich stand ich auf, packte ihn an den Schultern und drückte ihn in einen Stuhl.
Er sah mich verschreckt an.
»Ich kann auch anders, Lundsdale«, sagte ich und ballte die Hände zu Fäusten. »Reden Sie endlich!«
Er nickte und senkte den Kopf. »Ich hatte vor einiger Zeit ein Angebot bekommen, in Hongkong in einer Privatschule zu unterrichten. Das sagte ich Coco, und sie war Feuer und Flamme, mit mir nach Hongkong zu fliegen. Sie war von einer unglaublichen Hektik. Ich packte meine wenigen Habseligkeiten ein, und sie telefonierte in der Zwischenzeit. Anschließend fuhren wir in die Baring Road. Coco brauchte nur wenige Minuten zum Packen. Dann fuhren wir zum Flughafen, wurden aber aufgehalten. Eine Begräbnisprozession versperrte uns den Weg. Wir verpaßten das Flugzeug. Es war alles so seltsam. Ich kann es nicht in Worte fassen. Coco kam mir so vor, als würde sie einem unsichtbaren Zwang folgen. Sie sprach kaum etwas, und wirkte nervös und ungeduldig.«
Lundsdale blickte mich verlegen an. Er atmete rascher, und ich setzte mich wieder.
»Weiter!« sagte ich. »Erzählen Sie weiter!«
»Wir warteten auf die nächste Maschine. Ich wollte eigentlich gar nicht so rasch London verlassen, doch Coco bestand darauf. Mehr als eine Stunde saßen wir schweigend da. Coco kam mir wie eine Statue vor, doch von einem Augenblick zum anderen änderte sich auf einmal ihre Stimmung. Sie war plötzlich fröhlich, lachte viel, plapperte unentwegt und scherzte mit anderen wartenden Passagieren, was mir einigermaßen unangenehm war. Dabei lernte sie ein Dutzend reicher Geschäftsleute aus Hongkong kennen, die nach London gekommen waren, um einem gemeinsamen Freund die letzte Ehre zu erweisen. Sie waren mit einer Chartermaschine gekommen und von Coco so angetan, daß sie ihr anboten, mit ihnen mitzufliegen. Coco nahm das Angebot an, und sie ließen auch mich mitfliegen.«
Ich bot Lundsdale eine Zigarette an, und er nahm sie. Seine Hände zitterten noch immer, als ich ihm
Feuer gab. Er inhalierte hastig und stieß den Rauch durch die Nasenflügel aus.
»Der Flug nach Hongkong war recht unterhaltsam«, fuhr er fort. »Alle waren von Coco begeistert.
Es regnete Einladungen, alle wollten ihr helfen. Ich kam mir wie ein Außenseiter vor. Niemand schenkte mir Beachtung, nicht einmal Coco. Ich war froh, als wir in Hongkong landeten. Einem der Geschäftsleute gehört dieses Haus. Er bot uns zwei Wohnungen an. Cocos Wohnung lag neben meiner. Ich bekam dann sofort den Posten an der Privatschule. Und Coco verändert sich wieder. Sie wurde einsilbig, wollte kaum ihre Wohnung verlassen und wirkte schwermütig und deprimiert. Ständig fühlte sie sich schwindelig und war müde. Nur einmal erwachte sie aus ihrer Lethargie, und zwar, als sie die Einladung von Mr. Olivaro annahm.«
»Wer ist dieser Olivaro?«
»Bankier. Unendlich reich. Er gab zu Cocos Ehren ein riesiges Fest in seiner Villa. Mehr als hundert Personen nahmen daran teil. Coco war unglaublich witzig und charmant. Sie wirkte wie das blühende Leben, doch nach Mitternacht war sie erneut wie ausgewechselt. Sie hatte plötzlich Kopfschmerzen, die immer unerträglicher wurden. Ihr Gesicht verfiel zusehends. Olivaro rief einen Arzt, der sie gründlich untersuchte, aber nichts feststellen konnte. Wir übernachteten bei Olivaro. Als ich Coco am nächsten Morgen wecken
Weitere Kostenlose Bücher