055 - Labyrinth des Todes
bisher ohne Erfolg geblieben war.
Ich drückte die Zigarette aus und wanderte unruhig im Zimmer auf und ab.
»Setz dich!« sagte Chapman, »du machst mich nervös.«
Ich hob die Schultern, schenkte mir einen Bourbon ein, drehte das Glas zwischen den Fingern und setzte mich. Bevor ich noch das Glas an den Lippen hatte, läutete das Telefon. Unwillig stellte ich das Glas ab und griff nach dem Hörer.
»Ja«, sagte ich und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Hals.
»Guten Morgen«, meldete sich der Observator Inquisitor, den wir alle kurz O.I. nannten.
»Morgen«, sagte ich kurz angebunden und verzog das Gesicht.
»Ich habe eine Nachricht bekommen, die Sie interessieren wird, Dorian.«
Ich preßte die Lippen zusammen. Plötzlich hatte ich Angst. Die Stimme des O.I. klang zu sanft. »Eine schlechte Nachricht, Dorian«, fuhr er fort, und ich schluckte.
»Sprechen Sie!« sagte ich, und meine Stimme war ein heiseres Krächzen.
Ich kniff die Augen zusammen, und Chapman kroch neugierig näher.
»Coco ist tot«, sagte er.
Ich hatte befürchtet, daß eines Tages dieser Anruf kommen würde, und mich darauf vorbereiten wollen – was mir aber nicht gelungen war. Unbeweglich saß ich jetzt da, und meine Gedanken flogen wie aufgeschreckte Hühner hin und her. Dann spürte ich, wie ich langsam ruhig wurde und die Spannung der vergangenen Tage von mir abfiel. Es ist besser, Gewißheit zu haben, als mit quälenden Gedanken zu leben, die von Hoffnung zu tiefster Verzweiflung wechseln.
»Gibt es keinen Zweifel an dieser Meldung?« fragte ich.
»Nein«, sagte der O.I. »Wir bekamen die Meldung von einem unserer besten Agenten in Hongkong. Sie starb vor einigen Tagen, und das Begräbnis fand gestern statt.«
»Hongkong?« fragte ich überrascht. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Wie mir scheint, stimmt die Meldung«, meinte der O.I. langsam. »Der Agent gab uns eine Beschreibung der Toten durch, die hundertprozentig auf Coco zutrifft.«
Ich beugte mich vor und fuhr mit der Zunge über meine trockenen Lippen.
»Ich fliege nach Hongkong«, sagte ich.
»Damit habe ich gerechnet«, sagte der O.I. »Ein Bote ist mit dem Flugticket zu Ihnen unterwegs.
Die Maschine geht in zwei Stunden.«
»Ich rufe Sie später an.« Ich legte den Hörer auf, schloß die Augen und lehnte mich zurück. Irgendwie konnte und wollte ich nicht glauben, daß Coco tot war. Meine Hände zitterten. Ich hatte den O.I. zu fragen vergessen, wie Coco gestorben und was die Todesursache gewesen war.
Plötzlich spürte ich Chapmans winzige Hände, die über meine rechte Hand glitten. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. Sein winziges Gesicht war verzerrt, und Tränen rannen über seine Wangen. »Coco ist tot?« fragte er leise, und ich nickte. Ich konnte den traurigen Blick seiner Augen nicht ertragen und wandte den Kopf ab, schob seine Hände zur Seite und stand auf, um für einige Minuten allein zu sein – allein mit meinen Gedanken an Coco.
Die Maschine landete um elf Uhr zweiunddreißig auf dem internationalen Flughafen Hongkongs, Kai Tak, der etwa sechs Kilometer nördlich von Kowloon liegt. Während des Fluges hatte ich vergeblich zu schlafen versucht. Ich hatte einige Schlaftabletten geschluckt, doch auch die hatten mir nicht geholfen. Meine Gedanken ließen sich nicht beruhigen.
Über die näheren Umstände von Cocos Tod war nichts bekannt. Der O.I. hatte mir versprochen, daß mir etwaige neue Nachrichten sofort ins Hotel zugeschickt würden.
Ich fühlte mich scheußlich, war hundemüde, und mein Hals und Rachen brannten von den unzähligen Zigaretten, die ich geraucht hatte. Mit dem Strom der Passagiere wanderte ich durch Zoll und Abfertigung. Ich bekam mein Gepäck ausgehändigt und nahm mir ein Taxi.
Der Fahrer fuhr den erst vor kurzem eröffneten Highway entlang, der Kai Tak mit dem neuen Unterwassertunnel bei Hung Hom verbindet und der unter dem Hafen nach Victoria führt.
Die Stadt Victoria nimmt fast die gesamte nördliche Hälfte der Insel Hongkong ein und wird im Volksmund gern als eigentliches Hongkong bezeichnet. Victoria ist das Banken-, Einkaufs- und Touristenzentrum der Kronkolonie.
Während der Fahrt zum Hong Kong Hilton blickte ich angeregt aus dem Fenster. Viel hatte sich seit meinem letzten Besuch nicht verändert. Der Straßenlärm war ohrenbetäubend wie immer. Der Taxifahrer drängte sich rücksichtslos durch den Verkehr, überholte vorschriftswidrig eine Straßenbahn und fuhr wie ein Verrückter
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