0554 - Sie kam von den Sternen
mein Kleiner.« Consuela trat zwei kleine Schritte zurück, damit die Distanz zwischen den beiden groß genug werden konnte.
Kevin Long senkte den Kopf.
Er sah sich selbst, konnte jede seiner Bewegungen mitverfolgen, denn die Klinge war plötzlich zu einem Spiegel geworden, der gerade sein Bild wiedergab.
Die Haare, das Gesicht, den Hals…
Das Gesicht? Kevin erschrak. War das noch sein Gesicht, das er auf der Schneide sah?
Nein – oder doch?
Die Haare hatten ihre Farbe behalten, doch die Züge darunter waren nicht mehr die gleichen.
Der Junge sah im Gesicht um zehn Jahre älter aus!
***
Ich hatte schlecht geschlafen. In den wenigen Stunden hatte ich mich im Bett herumgewälzt und über den neuen Fall nachgedacht. So etwas passierte mir eigentlich nicht oft, denn sonst hätte ich des öfteren mies schlafen müssen.
Vielleicht lag es auch am Wetter. Wir hatten Föhn. Von Süden her war die Warmluft über England geströmt, hatte die Wolken vom Himmel gefegt und Temperaturen gebracht, die über 20 Grad lagen.
Das ausgerechnet im Oktober, der auch schon in die zweite Monatshälfte ging.
Beim Aufstehen brummte mir der Kopf, als hätte ich am Abend vorher ein halbes Dutzend Doppelte getrunken. Müde schlich ich unter die Dusche, die mich nur wenig erfrischte.
Der Morgenkaffee besaß zwar nicht die Qualitäten wie ein von Glenda gekochter, aber er half dem Vater auf die Sprünge. Ich näherte mich allmählich wieder der Normalform.
Natürlich dachte ich an die geheimnisvolle Sternen-Prinzessin, die mich gesucht und gefunden hatte. Dann war sie geflohen. Weshalb?
Weil sie mein Kreuz gesehen hatte?
Davon ging ich zunächst aus. Ich beschäftigte mich gedanklich auch mit Kevin Long. Consuela hatte den Jungen entführt. Möglicherweise war es ihm gelungen, mit dieser fernen Person Kontakt aufzunehmen. Das Buch war von ihm sehr intensiv gelesen worden und auch die Zahlen und Symbole auf dem Innern des rückseitigen Einbands.
Sie mußten eine sehr große Bedeutung haben, über die für uns nach wie vor ein rätselhafter Mantel lag.
Der Türsummer schreckte mich aus meinen Überlegungen hoch.
Ich sah auf die Uhr und wunderte mich, wie sehr die Zeit vergangen war. Suko kam, um mich abzuholen.
»Noch nicht fertig?« fragte er. Ein prüfender Blick flog über mein Gesicht. »Sehr gut siehst du aber nicht aus.«
»Guck dich mal an.«
Suko lachte. »Ich hab’ gut geschlafen.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Wir waren in die Küche gegangen, wo ich das Geschirr wegräumte. Heute wollten wir mit dem Dienstrover fahren, dessen Zündschlüssel bereits in meiner Hosentasche steckte.
»Ist was passiert?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich konnte nur nicht in den Schlaf kommen, das ist alles.«
»Heute ist auch noch ein Tag, John.«
»Ich weiß. Nur werden einige Probleme auf uns zukommen. Einem davon möchte ich mal den Namen Rusty Long geben.«
Suko nickte. »Du glaubst an eine persönliche Rachetour?«
»Bestimmt.«
»Dann wird er sich Urlaub genommen haben, um sich mit dem Fall beschäftigen zu können.«
»Damit rechne ich. Vielleicht ist er auch schon weiter als wir.«
»Dann müßte er uns etwas verschwiegen haben.«
»Wäre das ein Wunder?«
»Bestimmt nicht.«
Wir standen mittlerweile in der Tiefgarage, in der es widerlich nach Abgasen roch, denn um diese Zeit starteten viele Fahrzeuge.
Auch wir schoben uns hinter einem Ford her, aus dessen Auspuff blaugraue Wolken strömten und über den Kühler des Rover flossen.
Ich habe schon zu oft über unsere Fahrten zum Yard berichtet.
Diesmal schenke ich es mir. Jedenfalls war es nicht sehr angenehm.
Der Londoner Verkehr war besonders, die Autofahrer schienen vom Wetter trunken geworden zu sein. Wir hörten die Sirenen der Streifen- und Unfallwagen besonders oft.
Unnatürlich klar spannte sich der Himmel über London. Eine schier endlose Bläue, ohne sichtbare Wolken. Der warme Südwind wehte föhnartig in die Straßenschluchten und bewegte das Wasser der Themse heftiger als gewöhnlich.
Irgendwann erreichten wir unser Ziel und hatten das Gebäude kaum betreten, als wir angesprochen wurden. Der Kollege vom Empfang erklärte uns, daß jemand auf uns wartete.
Der Mann hockte in einem Sessel in der Halle. Er schaute uns aus rot geäderten Augen entgegen, war blond, ziemlich groß gewachsen und wirkte erst erleichtert, als wir ihm die Hand gedrückt und uns vorgestellt hatten.
»Bin ich wirklich an die richtigen Leute gelangt?«
»Das wird
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