0554 - Sie kam von den Sternen
weismachen, daß Sie auf all unsere Ermittlungsarten verzichten?«
»Nein, das will ich nicht. Wir setzen Sie allerdings nur sporadisch ein und gehen ansonsten unorthodoxer an die vorliegenden Fälle heran. Das mußte ich Ihnen sagen.«
»Okay, ich habe verstanden.« Er schaute mich starr an. Ich war davon überzeugt, daß er schauspielerte.
Suko und ich erhoben uns, wie auf ein geheimes Kommando hin.
»Wir werden Sie jetzt wieder allein lassen und versuchen, den Fall auf unsere Art und Weise zu klären.«
»Tun Sie das.« von Mrs. Long verabschiedeten wir uns im Wohnraum. Ihr Mann brachte uns noch zur Tür.
»Spielen Sie nicht den Rächer«, warnte ich ihn noch einmal.
»Klar doch«, erwiderte er und grinste breit.
»Überzeugt?« fragte Suko, als wir in seinem BMW saßen, mit dem wir losgezogen waren.
»Nein, Alter. Der wird versuchen, uns kräftig in die Suppe zu spucken…«
***
»Wie fühlst du dich, mein Kleiner?«
Kevin Long hörte die Frage sehr wohl, allein, er war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Zu gewaltig lasteten die Eindrücke des kürzlich Erlebten noch auf ihm.
Er war auf das breite Messer geklettert und über London hinweggeflogen. Eine genaue Höhenangabe war ihm nicht möglich gewesen, jedenfalls hatte die Stadt unter seinen Füßen gelegen, und ihn selbst hatte das Gefühl überkommen, nach den Sternen greifen zu können.
London – ein Meer aus Lichtern. An einigen Stellen dicht geballt und gedrängt, an anderen wieder auseinandergerissen, auf mehrere Inseln verteilt und oftmals dunkle Stücke umrandend.
Das Licht schwamm in einem Meer der Finsternis, denn um London herum war es dunkel gewesen. Sie waren über die Stadt hinweggehuscht. Dennoch hatte er vieles hören können. Stimmen, Gespräche und Geräusche hallten wie aus einem Trichter kommend zu ihnen hoch. Kevin empfing die Stimmung einer Stadt. Er konnte sie riechen, schmecken und beobachten.
Seine Eindrücke in Worte zu fassen, das schaffte er nicht. So stand er nach wie vor auf der breiten Messerklinge und spürte den beruhigenden Druck der Hand auf seiner Schulter.
Die Sternen-Prinzessin stand neben ihm. Sie ließ ihm Zeit, und sie lächelte dabei.
Es war schwer, dieses Lächeln zu deuten. In ihm mischten sich gewisse Gefühle. Es war eine Mischung aus Freundlichkeit, Erlösung und aus lauernder Erwartung. Jedenfalls nicht fröhlich, vielleicht auch planmäßig.
Kevin merkte davon nichts. Er hob die Schultern und wischte über sein Gesicht. Trotz der großen Ereignisse kam er sich irgendwo verloren vor, nur spürte er seltsamerweise kein Heimweh, obwohl er auf seine Heimatstadt hinabschaute.
»Ich warte noch immer auf eine Antwort, Kevin!«
Er nickte. Hier oben hatte sich die Stimme der ungewöhnlichen Frau noch lauter angehört, aber sie besaß nur einen Zuhörer. Die da unten würden sie nicht hören können.
»Ich kann es nicht sagen, Consuela. Es ist eben alles so schrecklich anders.«
»Schrecklich?«
»Nein, aber anders.«
»Fühlst du nicht, wie es aus der Tiefe zu uns hochströmt? Spürst du nicht, was dort zwischen den Häusern kocht? Die Empfindungen der Menschen, die Gefühle. Darin steckt Liebe, Vertrauen, aber auch Feindschaft und unmenschlicher Haß!«
»Nein, Consuela. Ich kann es nicht.« Kevin war verwirrt. Mit seinen elf Jahren konnte er mit dieser fast schon philosophischen Erklärung der Sternen-Prinzessin wahrlich nichts anfangen. Er mußte sich auf die Dinge konzentrieren, die er tatsächlich sah und die auch für ihn begreifbar waren. Mit wachsendem Alter vergrößerte sich auch dieser Bereich, aber noch lebte Kevin in seiner Welt.
»Viele Menschen sind schlecht, mein Kleiner. Sehr schlecht sogar. Sie schauspielern, gaukeln die Freundschaft vor, wo keine vorhanden ist. Da bin ich anders.«
»Wie denn?«
»Gerecht!«
»Und was bin ich für dich?« fragte Kevin. »Siehst du mich als deinen Freund an, Consuela?«
»Ich weiß es nicht. Ich möchte ehrlich zu dir sein, Kevin. Ich habe dich gesucht, weil ich dich brauche. Ja, ich bin in gewisser Hinsicht von den Menschen abhängig, die sich auf die Suche nach mir gemacht haben.«
»Das verstehe ich nicht…«
»Es ist auch nicht weiter tragisch. Schon bald wird die Zeit kommen, wo du es merkst.« Consuela ging in die Knie. Jetzt war sie ebenso groß wie der Junge. »Diese Nacht ist nicht gut«, sprach sie weiter. »Ich merke genau, daß zwischen den Häusern in den dunklen Straßen das Böse seinen Weg finden wird. Glaub es
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