0556 - Odem des Bösen
Heißluft sich heulend austobte. Bis sie hier oben im Parterre ankam, war aus dem heißen Orkan ein warmer Sturm geworden.
Nervtötend war das Heulen, das aus dem Kellergewölbe drang, einem Alarmhorn gleich, doch soviel Luft besaß kein Mensch, um dermaßen lange ins Kriegshorn zu blasen.
»Cantho muß informiert werden! Sofort!« stieß der Anführer der Soldaten hervor. Der Sohn des Moguls hatte sie sich zuvor mit Hilfe seiner Dhyarra-Magie hörig gemacht. »Er muß entscheiden, was jetzt geschehen soll! Der Eindringling besitzt einen Sternenstein und kann auch damit umgehen. Außerdem müssen wir wissen, was mit dem Priester des ORTHOS geschehen soll!«
Er hatte bereits einen Mann losgeschickt, als er vorhin den bewußtlosen fremden Priester aufgefunden hatte, doch der war bisher noch nicht zurückgekehrt!
Jetzt schickte er den zweiten.
Wirkliche Sorgen machte er sich nicht. Er führte nur Befehle aus, so gut es ihm eben möglich war. Aber als das Heulen des Sturms verhallte, wurde er wieder mißtrauisch.
Was kam jetzt?
Was heckte der Eindringling nun aus, der die entfesselten Höllengluten in der Kerkerklause mit seiner Magie heil überstanden hatte?
***
Vor dem Altar in der offenen Säulenhalle standen Cantho und Tiana, das Brautpaar. Der Hohepriester des OLYMPOS breitete seine Arme aus. Es schien, als sei er in sich selbst versunken, irgendwie geistig abwesend. Er sprach die Begrüßungsformeln und die vorgeschriebenen Worte der Zeremonie.
Andächtig schwiegen die Zuhörer. Eine feierliche Ruhe beherrschte den Saal. Drei Priester standen abseits und warfen Kräuter in eine Feuerschale, würziger Rauch stieg empor.
Cantho lächelte Tiana zu, und sie lächelte zurück, aber jetzt spürte auch er ihre Furcht. Er verstand diese Furcht immer noch nicht, denn er wußte, daß sie völlig ahnungslos war.
Er versuchte Tiana durch den sanften Druck seiner Hand zu beruhigen, doch ihre Unruhe blieb.
Ganz so ruhig, wie er es sich selbst wünschte, war allerdings auch Cantho nicht. Vorhin hatte ihn einer »seiner« Tempelsoldaten kurz und unauffällig beiseitegenommen und ihm zugeraunt, daß man einen ORTHOS-Priester gefunden hatte. Und daß ein Fremder in den Keller eingedrungen sei, um den schwarzhäutigen Gnom zu befreien.
Cantho hatte daraufhin keinen Befehl geben können, da er von Tiana und seinem Vater sofort wieder in Beschlag genommen worden war. Auch der Hohepriester war hinzugekommen und hatte dem Brautpaar noch einmal den Ablauf der Zeremonie erklärt - sehr zum Verdruß Canthos, der alles nun schon mehrmals durchgespielt hatte. Aber vielleicht waren einige der rituellen Antworten und Abläufe der schönen Tiana noch unbekannt.
Wie auch immer, Cantho konnte sich jetzt nicht um den Eindringling kümmern, doch die Angelegenheit gab ihm zu denken. Was wollte ein ORTHOS-Priester hier? Das gehörte nicht zum Plan. Nur Wokat sollte auftauchen, wenn die Göttin des Lebens erschien.
Die Zeremonie schritt voran, und Cantho fieberte ihrem Ende entgegen. Er war bereit, mit seinem Dhyarra-Kristall die magische »Zündung« auszulösen und damit das in dem Gnom steckende Potential zu entfesseln.
Sobald die beiden Götter auftauchten und sich bekämpften!
Daß Wokat längst anwesend war, hoch oben auf dem Turm, ahnte Cantho nicht. Er wußte auch nichts von dem Kampf Wokats gegen Byanca und Damon. Nur ein seltsames Heulen, das aus der Tiefe kam und die meterdicken Steinmauern durchdrang, irritierte ihn und auch einige der anderen Versammelten. Niemand konnte sich erklären, was dieses ferne Geräusch bedeutete.
Es fragte auch niemand danach. Wer wußte denn schon wirklich, was hinter Tempelmauern vor sich ging? Man versammelte sich hier, um an Zeremonien teilzunehmen und den Göttern Ergebenheit zu versichern. Das war auch schon alles.
Einmal sah Cantho sich um. Einige Schritte hinter ihm stand Taigor, sein Vater, umgeben von Leibwächtern und Dienern, und nickte ihm aufmunternd zu. Die anderen Gäste standen noch etwas weiter abseits. Niemand ahnte, daß der Hohepriester und auch die drei anderen Priester unter der magischen Kontrolle der ORTHOS-Diener standen, die in der Nacht eingedrungen waren.
Nur mit halbem Ohr vernahm Cantho die Worte des Hohenpriesters, der schließlich verkündete, daß er nunmehr die Göttin rufen wolle, damit sie ihren Segen zu dieser Trauung gebe. Gleich darauf begann er mit den Worten der rituellen Anrufung.
Canthos linke Hand glitt in die Taschenfalte, in der sich sein
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