0559 - Kapitän Sensenmann
unheimlichen Stille. – Ein anderes Land, eine andere Zeit.
Der Nebel drang uns nicht als kompakte Masse entgegen, es gab genügend Lücken, Spalten und zerrissene Wolken, durch die wir schauen konnten, wobei unsere Blicke jedoch wieder auf andere Nebelwände trafen, die sich wie versetzt stehende Platten verteilten.
Als lange, geisterhafte Arme huschten die Fetzen an uns vorbei.
Zu beiden Seiten der Bordwand glitten sie entlang und kamen auch über, um sich auf dem Deck zu verteilen.
Auch wir spürten die Feuchtigkeit dieser Dunsttücher auf der Haut. Suko schaute sich besonders intensiv seine Hände an und atmete erst nach Sekunden auf, als ihm klargeworden war, daß der Dunst seine Haut nicht von den Knochen löste.
»Kein Todesnebel, John.«
»Was ich dir gesagt habe.«
»Zum Glück.« Er wischte über sein Gesicht und verschmierte dort die Feuchtigkeit.
Das Boot stampfte weiter. Die Wellen blieben. Noch immer rollten sie schwerfällig gegen den Stahl und zerspritzten am Bug zu langen Gischtfontänen, die von der Bordwand entlang in Richtung Reling kletterten und auch uns benetzten.
Plötzlich war der Papagei wieder da. Ihn hatten wir beide schon vergessen, aber wir hörten sein Krächzen und dann seine verzerrte Stimme. »An die Rah! Hängt sie an die Rah! Die Toten kommen. Sie kommen zurück. An die Rah! Hängt sie an die Rah! Die Toten kommen. Sie kommen zurück. An die Rah mit euch! Tod euch, ihr…« Er stieß Geräusche aus, die mich an ein Lachen erinnerten.
Suko schnellte hoch. Trotz des ausgestreckten Arms gelang es ihm nicht, das Tier zwischen die Finger zu bekommen. Es war einfach zu schnell oder besaß einen sechsten Sinn für Gefahr.
»Allmählich glaube ich nicht, daß der Papagei nur zufällig hier durch die Gegend flattert.«
»Stimmt.«
»Glaubst du, daß er etwas mit diesem komischen Kapitän Sensenmann zu tun hat?«
»Ich rechne damit.«
Hinter uns hörten wir Schritte. Der Commander hatte die Brücke verlassen. Neben uns blieb er stehen, schüttelte den Kopf und ärgerte sich über den Nebel.
»Was ist daran so schlimm?« fragte ich.
»Daß er einfach hier ist und nicht aufhören will. Ich werde den Eindruck nicht los, als würde er von irgendwoher immer neuen Nachschub bekommen. Das wundert mich, und das kann ich auch nicht erklären, verdammt.«
»Wir sind auch überfragt«, gab Suko zu.
Tucker blieb an meiner rechten Seite stehen. Seine Lippen bewegten sich, ohne daß er etwas sagte. Die Augen hielt er weit offen, doch auch so konnte er den dicken Nebel nicht durchdringen.
Suko hielt das Glas vor seinem Gesicht. Er hatte eine Haltung angenommen, die mich irritierte. Ich kannte meinen Freund. Wenn er dermaßen starr auf der Stelle stand, hatte er etwas entdeckt.
»Was ist?«
Der Inspektor schüttelte leicht den Kopf. »Entweder bilde ich es mir ein, oder ich sehe den Schatten tatsächlich.«
»Welchen Schatten?« fragte Tucker.
»Das könnte ein Schiff sein.«
»Machen Sie keine Witze.«
»Dazu bin ich nicht aufgelegt, aber ich will einen Haifisch essen, wenn es nicht stimmt.«
»Wir hätten etwas hören und trotz des Nebels auf unserem Schirm das andere Schiff erkennen müssen.«
»Wenn es normal wäre.«
»Denken Sie denn an ein Geisterschiff?«
»So ist es.«
»Inspektor, machen Sie mich nicht nervös.«
Auch ich schaute inzwischen durch mein Glas und hatte die Umrisse ebenfalls gesehen. »Mein Kollege hat recht, Commander. In dieser grauen Suppe tut sich was.«
Tucker war nicht ohne Glas gekommen. Er starrte in die Wand und gab einen Kommentar. »Das ist ein Schiff«, flüsterte er.
»Autos fahren nicht auf dem Wasser«, bemerkte ich.
»Hören Sie auf, Sinclair. Ein Schiff, das nicht mehr in die heutige Zeit paßt.«
»Alt?«
»Mehr als das. Ein Segler, der auch schon vor einigen Jahrhunderten hier hätte entlangfahren können.«
»Dann sind es unsere Freunde!« bemerkte Suko. Er ließ das Glas sinken, ich ebenfalls, und Tucker drehte sich wieder um.
»Ich muß auf die Brücke und Alarm geben.«
»Aber nicht schießen!« warnte ich.
Er lachte hart. »Das werden wir sehen, Sinclair.« Er lief mit harten Schritten weg.
Suko hob die Schultern. »Den kannst du nicht belehren, John. Wie auch?«
Ich enthielt mich einer Antwort, öffnete den Parka, um besser an meine Waffen gelangen zu können, und wartet zunächst einmal ab.
Zwei unterschiedliche Schiffe mußten sich aufeinander zubewegen, so jedenfalls sah es aus. Ich allerdings hatte das Gefühl,
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