0560 - Der Rattenmensch
kannst zuschauen, wie ich ihn töte. Danach kommst du an die Reihe!«
Er drehte sich zu mir um.
Noch in der Bewegung handelte ich. Dabei mußte ich unheimlich schnell sein. Beide Arme schnellten hoch, ich bekam die Ratte auf meinem Kopf zu packen, riß sie weg, zusammen mit Haarbüscheln, hörte sie quietschen und schleudere sie dann auf Torday zu.
Er brüllte auf.
Die anderen Ratten bewegten sich ebenfalls. Sie wollten an meinem Körper hochklettern. Die ersten Bisse erwischten mich, da hatte ich bereits den Dolch gezogen und zweimal zugestochen.
Rattenblut spritzte auf. Zwei Tiere fielen zwischen die anderen, die dichtgedrängt standen und sich kaum bewegen konnten.
Für einen Moment hatte ich freie Bahn.
Der Rattenmensch wollte sich vorwerfen, ich schwang die Beretta in seine Richtung – da peitschten die Schüsse.
Nicht ich hatte geschossen. Die Kugeln waren von draußen her in die Hütte geflogen…
***
Der Rattenmensch zuckte gleich mehrere Male zusammen. Die Scharfschützen hatten ihn am Körper und auch am Kopf erwischt.
Noch stand er, sah fürchterlich aus, drehte sich um die eigene Achse und torkelte, sich dabei auf den Körpern der Ratten aufstützend, ins Freie.
Ich hörte die Befehle der Offiziere. Das alles kümmerte mich nicht, denn die kleine Armee von Ratten suchte ihr Heil in der Flucht. So heftig, wie sie gekommen waren, jagten sie aus dem Haus und verteilten sich blitzschnell in der Dunkelheit.
Wieder peitschten Schüsse auf. Die Bewaffneten hielten voll in die Körper hinein.
Ich traute mich nicht, das Haus zu verlassen. Zu leicht hätte mich eine Kugel erwischen können.
Noch sah ich den Rattenmann. Er hielt seine Hände gegen den teilweise durch die Geschosse zerstörten Kopf gepreßt. Wieder fielen Schüsse. In ihrem Hagel brach er vor der Hütte zusammen, und die letzten Ratten huschten über seinen Körper hinweg.
Ich schaute Lorri an.
Die alte Zigeunerin rührte sich nicht. Sie stand steif wie ein alter Baumstamm, nur aus ihren Augen rannen Tränen. Es war ein Augenblick der Stille und der gleichzeitigen Trauer, doch diese Sekunden wurden durch die harten Tritte der Stiefel zerrissen, als die Wächter in den Raum stürmten.
Sie wollten sich auf mich stürzen. Ich schaute in die todbringenden Mündungen der Gewehre und Maschinenpistolen, bis eine energische Stimme einen Stopp verlangte.
Der Direktor des Zuchthauses schob sich vor. Er sah noch immer geschniegelt aus und wirkte auch jetzt wie eine Operettenfigur. Er kam auf mich zu, streckte mir die Hand entgegen, umarmte mich vor den Augen zahlreicher Zeugen und gratulierte mir zu dem großen Erfolg, den ich errungen hatte.
»Nein, das waren Ihre Männer.«
»Sie haben uns die Spur gezeigt. Es hätte keiner von uns geglaubt.«
Ich hob die Schultern. »Jedenfalls ist die Sache vorbei. Aber es gibt da noch die alte Frau. Man sollte sich um sie kümmern.«
Lorri wußte, daß wir von ihr gesprochen hatten. »Nein, um mich hat sich niemand gekümmert, um mich braucht sich auch niemand zu kümmern. Ich komme allein zurecht. Ich werde vielleicht morgen, übermorgen oder in drei Jahren sterben und möchte dich nur um eines bitten. Laß mich allein mit meinen Erinnerungen. Ich habe euch geholfen, und es hat mir fast das Herz gebrochen. Geht jetzt. Alle…«
Wir taten ihr den Gefallen. Der Direktor hob die Schultern. »Wir werden sie hier leben lassen.«
»Das ist auch gut so.« Ich zuckte zurück, weil plötzlich ganz in meiner Nähe Flammen in die Höhe schossen. »Was soll das?«
»Sie verbrennen die Reste«, bekam ich zur Antwort. »Nichts mehr soll an den Rattenmann erinnern.«
»Nur die Opfer – wie?«
»Da haben Sie leider recht.«
Ich ließ ihn stehen und schritt zu einem Baumstumpf, auf dem ich meinen Platz fand. Von dieser Stelle aus konnte ich auch das beleuchtete Zuchthaus und dessen Umgebung sehen. Diesen Fall wollte ich so rasch wie möglich vergessen. Am liebsten hätte ich mir die Kleidung vom Körper gerissen und sie fortgeschleudert. Dazu konnte ich mich nicht überwinden. Ich dachte an London, wo die Straßen weihnachtlich geschmückt waren. Irgendwie freute ich mich darauf.
Vielleicht würde ich mir einen Tag freinehmen, um Geschenke zu kaufen, wie fast in jedem Jahr.
Der Zuchthausdirektor bat mich, mit ihm zu fahren.
»Ja, ist gut.« Ich stand auf und drehte mich zur Hütte um. Hinter einer schmutzigen Fensterscheibe sah ich das Gesicht der alten Zigeunerin.
Ich winkte Lorri zu.
Sie winkte
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