057 - Die Tochter des Werwolfs
Chef?« Sie mochte nicht viel älter als achtzehn oder neunzehn Jahre sein. »Soll ich dich verwöhnen?«
»Meinst du, dazu brauche ich ausgerechnet dich? Bring mir eine Flasche Cognac, blöde Kuh, aber was Ordentliches! King Jürgen säuft keinen Fusel.«
Aimee kam bald darauf mit einem alten Napoleon wieder. Henicke trank aus der Flasche. Der Alkohol half ihm nicht, die Schmerzen wurden immer stärker.
»Raus mit dir!«
Er wankte zum Fenster und ließ die Rouleaus herunter. Jetzt, da das Mondlicht nicht mehr ins Zimmer fiel, ging es ihm ein wenig besser. Träller-Maxe kam, nahm Henickes Schießeisen an sich und brachte es auf den Dachboden.
Die Razzia würde bald stattfinden. Die Kunden wurden bis auf zwei Männer weggeschickt, eine minderjährige Asiatin verschwand durch den Hinterausgang. Henicke erbrach sich auf das französische Bett.
Kurz nach einundzwanzig Uhr klingelte es. Polizisten, uniformiert und in zivil, kamen herein. Henicke wusste, dass der Hinter- und der Vorderausgang jetzt abgeriegelt waren und das Haus von allen Seiten beobachtet wurde. Aber er hatte vorgesorgt. Er hätte gelacht, wenn er sich nicht so elend gefühlt hätte.
Ein kleiner, stämmiger Mann kam ins Zimmer und baute sich vor ihm auf. Es war Kommissar Eberlein, in der Unterwelt die Wildsau genannt.
Henicke musste mit ihm in die Bar gehen, in der sich bereits ein Dutzend Polizisten eingefunden hatten. Träller-Maxe und Fred saßen wie unbeteiligt am Tresen, zwei junge Frauen leisteten ihnen Gesellschaft. Madame Verena stand hinter dem Tresen.
»Jetzt sag mir doch mal, was das hier für ein Laden ist, Berliner!«, sagte der Kommissar.
»Um ganz ehrlich zu sein, Kommissar Eberlein, ich bin heute erst zum dritten Mal hier«, behauptete Henicke frech. »Ich lasse mich immer am linken Knie massieren, wegen meines Meniskus – auf Krankenschein, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Den Schwarzen an der Bar, den wegen Zuhälterei, schwerer Körperverletzung, illegalen Waffenbesitzes und Raubüberfalls vorbestraften Maximilian Beißel sowie Frau Dörte Koppenhofer, alias Madame Verena Dubois, kennst du auch nicht?«
»Nun ja, ich will nicht lügen – Fred und Max kenne ich flüchtig, aber sonst habe ich mit niemand hier näheren Kontakt.«
»Na ja, wir werden sehen. Stellt die ganze Bude auf den Kopf, Leute. Den Meniskus, der hier massiert wird, den kennen wir schon lange.«
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken spendieren, Herr Kommissar?«, fragte Henicke, während die Beamten das Haus durchsuchten.
Eine offene Razzia fürchtete er nicht, dazu waren seine Verbindungen zu gut. Getürkte Kunden, die sich, nachdem sie den Service des Hauses genossen hatten, als Beamte der Polizei zu erkennen gaben, waren viel gefährlicher. Aber auch sie störten Henicke wenig, solange ihm nichts nachzuweisen war. Wenn einer seiner Massagesalons geschlossen wurde, machte er anderswo einen neuen auf.
»Ich trinke im Dienst nichts Stärkeres als Kaffee. Aber du solltest etwas trinken, Berliner, du siehst aus wie Weißbier mit Spucke. Hast du noch Schwierigkeiten mit deinen Schussverletzungen? Die Sitte hatte schon für einen Kranz zusammengelegt.«
»Ich bin direkt gerührt. Mir geht es gut, bis auf eine kleine Erkältung.«
Kommissar Eberlein war ein alter Fuchs, er sprach mit Henicke allein in einer Ecke in halblautem Ton. Seine joviale Art täuschte den Zuhälter keinen Augenblick darüber hinweg, dass er einem sehr fähigen und gefährlichen Mann gegenüberstand.
»Eines Tages kriegen wir dich, Henicke, die Kripo oder die Sitte. Kein Baum wächst in den Himmel, und du bist zu groß geworden.«
Henicke schüttelte den Kopf und grinste höhnisch. Kleine Schweißperlen standen auf seinem Gesicht, in seinen blassblauen Augen flackerte es. »Ihr kriegt den Berliner nicht, ihr nicht.«
Der Kommissar drehte sich um und sprach ein paar Worte mit Fred und Träller-Maxe. Henicke steckte sich eine Zigarette an, setzte sich an den Ecktisch und wartete geduldig. Es war der übliche Rummel, den er schon öfters mitgemacht hatte. Nach einer Stunde war klar, dass die Razzia keine Ergebnisse bringen würde.
Kommissar Eberlein sah Henicke scharf an.
»Wir suchen die in Hongkong geborene deutsche Staatsbürgerin Lu Schröder, geborene Tsei-Ten. Sie soll hier im Hause festgehalten und zur Prostitution gezwungen werden.«
Keiner wusste davon etwas.
»Ich habe Lu vor drei Tagen entlassen, weil sie einen Massagekunden bestohlen hatte«, sagte Madame Verena.
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