057 - Die Tochter des Werwolfs
Hand.
Doch sie hatte Zutrauen zu Sullivan gefasst, und es tat ihr gut, sich endlich einmal bei jemand aussprechen zu können.
»Ganz im Gegenteil«, beantwortete Sullivan ihre Frage. »Ich finde es ausgesprochen spannend.«
Sullivan fragte sich, weshalb er in diesem Haus keinen seiner Anfälle bekam, die er sonst manchmal hatte, wenn Übernatürliches und Dämonisches in der Luft lagen. Seit er im Kampf gegen die Dämonendrillinge schwer verletzt worden war, hatte er unter diesen Anfällen zu leiden.
Gisela Sommer fuhr mit ihrer Erzählung fort.
Sie und Bernd lebten so glücklich, wie es einem Ehepaar möglich war, das vom Fluch des schwarzen Blutes heimgesucht wurde. In den Vollmondnächten wurden die Fenster des alten Kellergewölbes im Haus in der Richard-Wagner-Straße mit Säcken und Lumpen verstopft. Bernd hatte unten an der Kellertreppe eine zweite gepolsterte Tür angebracht, so dass kein Laut nach außen drang.
Während seiner Werwolfphase war er stets völlig erschöpft und nahm erheblich ab, erholte sich aber schnell. Das schwarze Blut bescherte ihm den Vorteil einer eisernen Konstitution.
»Was meinst du, Gisela, wenn wir ein Kind hätten?«, fragte Bernd Sommer eines Tages seine Frau.
Im Garten lag Schnee, und man hatte vom ersten Stock aus eine schöne Aussicht über die verschneiten Hügel des Taunus.
Sie zuckte zusammen. Schon öfter hatten die Bekannten gefragt, warum sie nach so langer Zweisamkeit keine Kinder hatten, und jedes Mal hatte es Gisela Sommer einen Stich gegeben.
»Du weißt doch, weshalb wir keines haben dürfen. Willst du einen … einen … in die Welt setzen?«
Sie konnte das Wort nicht aussprechen. Bernd Sommer schüttelte den Kopf, etwas Beschwörendes lag in seiner Stimme.
»Wir könnten ein Kind haben, Gisela, ohne Gefahr, dass es ein Werwolf wird. Ich habe eine Menge über Lykanthropie gelesen. Nirgends habe ich einen Hinweis darauf gefunden, dass die Kinder eines Werwolfs auch Werwölfe werden, wenn der andere Teil des Elternpaares ein normaler Mensch ist. Ich glaube nicht, dass der magische Keim mit den Erbanlagen übertragen wird. Das findet auf andere Art statt.«
Gisela wusste es nicht, und Bernd wusste es im Grunde genommen auch nicht. Es ging ihnen wie so vielen Menschen, sie glaubten das, was sie glauben wollten. Gisela erhob noch einige Einwände. Sie gingen beide auf ein Alter zu, in dem andere Menschen sich bereits an ihren Enkeln erfreuten.
»Wir sind zu alt für ein Kind«, wandte sie ein.
»Ich bin nicht zu alt, um ein Kind zu zeugen, und du nicht zu alt, um eines zu gebären, Gisela! Warum sollten wir unsere Chance also nicht nutzen?«
Sie nickte. Gisela hatte sich schon lange nach einem Kind gesehnt.
»Aber was sollen wir machen, wenn das Kind älter wird? Es wird fragen, weshalb du tagelang im Keller eingesperrt bist, und was da unten heult.«
»Auch daran habe ich gedacht. Wir werden ein Haus bauen und umziehen. In unsere jetzige Wohnung kommt deine Tante Anita. Sie ist eine sehr tüchtige und zuverlässige Person, die den Mund halten kann. Das Kind kommt zu ihr, wenn ich meine Anfälle habe. Wir erzählen ihr, ich hätte eine Art Malaria, etwas Ansteckendes, dem wir das Kind nicht aussetzen wollen. Wenn sie umsonst hier wohnen kann, wird sie gern einwilligen. Als Witwe lebt sie nicht gerade üppig, und dass sie noch einmal heiratet, glaube ich nicht.«
Gisela schossen tausend Fragen und Einwände durch den Kopf.
»Aber Bernd«, konnte sie nur stammeln, »hast du dir das auch gut überlegt?«
»Ja, Gisela, ganz bestimmt. Du musst nur Mut haben, dann wird alles gut werden.«
Zehn Monate später brachte Gisela ein gesundes Mädchen zur Welt. Es sah ganz normal aus, war sechs Pfund schwer, ein Prachtkind.
Bernd war überglücklich, er erschien im Krankenhaus mit einem Strauß Herbstastern, der so groß war, dass keine passende Vase gefunden werden konnte.
Die Kleine wurde auf den Namen Petra getauft. Einige Tage lang war alles eitel Wonne. Aber dann kam der Vollmond. Bernd Sommer war im Keller angekettet, Gisela saß mit totenbleichem Gesicht und zusammengepressten, blutleeren Lippen am Kinderbettchen und sah hinein.
Der silbrige Schein des Vollmonds flutete durch das Fenster und badete das Kind in seinem Licht. Es öffnete die Augen. Sie wirkten dunkel.
Giselas Herz krampfte sich zusammen.
Dann öffnete das Baby den Mund, natürlich war noch kein Zähnchen darin. Es begann zu greinen und wollte seine Flasche. Gisela weinte heiße
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