057 - Im Banne des Unheimlichen
fortgegangen war, hatte er an die Tür geklopft. Aber nichts hatte sich gerührt. Dienstboten hielt Laffin vermutlich nicht.
Wieder starrte er zu dem Fenster hinauf. Da flüsterte ihm jemand ins Ohr:
»Ein sehr einfaches Haus - für einen Fachmann meine ich natürlich.«
Er fuhr herum. Toby Marsh stand neben ihm. Er trug Schuhe mit dicken Gummisohlen, aber auch sonst verstand er es, geräuschlos zu gehen.
»Wo, zum Teufel, kommen Sie her?« fragte Bill, sobald er sich von der ersten Überraschung erholt hatte.
»Seit drei Stunden beobachte ich Sie nun - und Sie beobachten das Haus.«
Bills Blicke waren wieder zu dem Fenster hinaufgewandert.
»Könnten Sie, wenn Sie wollten, in jenes Zimmer gelangen?«
»Ob ich könnte?« Toby Marsh war sichtlich belustigt. »Die Frage ist nur, ob ich will. Aber es gibt noch eine andere Frage. Warum hat Laffin mit eigener Hand Gitter an den Fenstern angebracht, wobei er sich beinahe den Hals brach?«
»Ach was«, sagte Bill gereizt, »ich will vor allem mit der jungen Dame sprechen. Wie soll ich das anstellen?«
»Mit anderen Worten - Sie möchten ins Haus hinein. Der einzige Vorschlag, den ich Ihnen machen kann, ist, daß ich Ihnen die Tür öffne.«
»Können Sie denn das?« fragte Bill ungläubig.
»Nichts ist leichter. In fünf Minuten wird die Tür offen sein. Gehen Sie dann sofort ins Haus. Ich werde nicht mehr dasein, denn ich bin diskret.«
Mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Toby. Bill wartete an der Straßenecke. Nach vier Minuten bewegte sich die Haustür. Er überquerte die Straße, lief den Gartenweg entlang, betrat das Haus und schloß die Tür hinter sich. Von Toby Marsh war nichts mehr zu sehen. Er hatte sein Versprechen in jeder Hinsicht gehalten - er hatte die Tür geöffnet und war verschwunden.
Bill blieb stehen, aber nicht, weil er an die Folgen dachte, die sein Handeln haben konnte. Er orientierte sich nur und stieg dann, ein brennendes Streichholz in der Hand, die dunkle Treppe hinauf. Zwei Stockwerke hatte er bereits hinter sich, da versperrte ihm im dritten Stock eine schwere Tür den Weg.
»Wer ist da?« fragte eine Stimme hinter der Tür.
»Holbrook!« rief er, und ein Freudenschrei antwortete ihm. »Warum bleiben Sie hier? Hat der Alte Sie eingesperrt?«
»Ja. Bitte, können Sie nicht die Tür öffnen?«
»Auf normale Weise bringe ich sie nicht auf, aber wenn Sie einen Augenblick warten, will ich mich unten nach einem Werkzeug umsehen, mit dem ich sie aufsprengen kann.«
Als er die Treppe zum zweiten Stock hinabeilte, glotzte ihn aus einer Nische ein häßliches Gesicht an. Es war ein kauernder afrikanischer Götze. Bill ließ das Streichholz fallen und hob die Figur mit Anstrengung vom Boden auf. Sie war aus hartem Holz geschnitzt und ungewöhnlich schwer. Mühsam stemmte er seine schwere Last auf die Schulter und stieg die Treppe wieder hinauf.
»Treten Sie von der Tür zurück!« rief er. »Ich will versuchen, sie aufzubrechen, weiß aber nicht, ob es mir gelingen wird.«
Mit ganzer Kraft schwang er die Figur und schlug sie krachend gegen Tür, aber sie rührte sich nicht. Er wartete einen Augenblick, um Atem zu schöpfen, und machte dann einen neuen Versuch. Diesmal rammte er mit den Füßen des Götzen die Stelle, wo sich das Türschloß befand. Zu seiner Genugtuung gab die Tür nach. Aber das Gewicht der schweren Holzfigur brachte ihn aus dem Gleichgewicht, so daß er in den Gang hinein und dem Mädchen beinah vor die Füße fiel.
»Ist das nun Hausfriedensbruch oder Einbruch?« fragte er und rollte den häßlichen Götzen zur Seite. »Wenn Sie bereit sind ...«
»Ja, bitte, eilen wir!«
Sie hatten gerade die Halle erreicht, als ein Schlüssel ins Schloß der Haustür gesteckt wurde.
»Ins Arbeitszimmer!« flüsterte Betty und zog ihn mit sich durch den Hausflur.
Es war der Doktor.
Würde er sofort ins obere Stockwerk oder zuerst in sein Arbeitszimmer gehen? Sonst verschwand er immer erst in sein Schlafzimmer. Der Läufer auf der Treppe war so dick, daß er das Geräusch der Schritte verschluckte. Doch etwas später hörte man von oben ein Rumoren. Sofort waren beide im Korridor, und Betty öffnete die Haustür.
»Wer ist da?« erscholl Laffins Stimme vom ersten Treppenabsatz.
Bill schlug krachend die Tür zu. Dann raste er mit dem Mädchen durch den Garten und bog in die nächste Seitenstraße ein. Sie verlangsamten ihre Schritte erst, als sie einen Polizisten auftauchen sahen, dessen Verdacht sie nicht erregen
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