057 - Im Banne des Unheimlichen
wie du es verlassen hast. Ich hatte Mühe, die nötige Wäsche zu besorgen. Es ist ein Gasofen da, auch ein Gasherd, auf dem du kochen kannst ...«
»Ich verstehe dich nicht«, unterbrach sie ihn. »Du weißt doch, daß ich gleich nach Hause gehe. Ich fühle mich in meiner kleinen Wohnung sehr wohl. Ich dachte, diese Sache sei ein für allemal erledigt?«
Wie gewöhnlich gab Laffin keine Antwort, und Bettys Seufzer der Ungeduld machte auf ihn keinen Eindruck. Er erhob sich und nahm einen Schlüssel, der an einem Nagel über dem Kamin hing.
»Willst du nicht vorausgehen?« fragte er übertrieben höflich.
Achselzuckend ging sie vor ihm die Treppe hinauf, fest entschlossen, sich nicht zu längerem Verweilen überreden zu lassen.
Ihre einstige Wohnung befand sich im dritten Stockwerk und bestand aus einem Schlafzimmer, einem Badezimmer, das einmal für die Dienstboten bestimmt gewesen war, und noch zwei weiteren Räumen, von denen der eine ganz leer, der andere nur notdürftig eingerichtet war. Laffin hatte sich gelegentlich dazu verstiegen, von einer ›Zimmerflucht‹ zu sprechen.
Die Tür auf dem obersten Treppenabsatz war verschlossen. Sie bemerkte einen Riegel, der neu angebracht worden sein mußte. In der Wohnung hatte sich nicht viel verändert. Das Bett war bezogen, im Kamin brannte ein Feuer, und auf dem Tisch lagen zwei oder drei Bücher.
»Wann hast du diese Gitter machen lassen?« fragte sie und zeigte auf vier Stahlstäbe vor dem Fenster.
»Erst kürzlich«, antwortete er.
Das Schlafzimmer und das Badezimmer lagen auf der Rückseite des Hauses. Man blickte auf unordentliche Gärten hinaus. Sie verließ das Schlafzimmer, um in das sogenannte Wohnzimmer zu gehen, aber dessen Tür war versperrt.
»Ich möchte nicht, daß du die Zimmer auf der Frontseite benützt«, bemerkte Dr. Laffin.
»Ich habe nicht die Absicht, auch nur eines zu benützen«, gab sie schlagfertig zurück.
Er erwiderte nichts. Sie war so an seine schlechten Manieren gewöhnt, daß sie nicht einmal sein Hinausgehen bemerkte. Plötzlich hörte sie aber das Schloß einschnappen, als er die Tür auf dem Treppenabsatz hinter sich zuschlug.
»Laß mich hinaus!« schrie sie und hämmerte mit den Fäusten an die Tür.
»Du bleibst da drinnen, bis ich dich brauche, meine Kleine!«
Seine Stimme klang gedämpft, was ihr verriet, wie dick die Tür sein mußte. Sie hörte, wie er den Riegel vorschob.
Sobald sie den ersten Schrecken überwunden hatte, begann sie kaltblütig zu überlegen. Ihre Vorahnung war also nicht grundlose Furcht gewesen. Durch die Tür zu entkommen war unmöglich. Sie ging ins Schlafzimmer, öffnete das Fenster und versuchte hinauszuschauen. Die Gitter machten jede Flucht unmöglich, ganz abgesehen davon, daß keine Chance bestand, die fünfzehn Meter hohe Hausmauer hinunterzuklettern.
Als sie wieder im kleinen Flur stand, durchzuckte sie eine Hoffnung. Unten hatte sie, wenn auch nur ganz schwach, eine bekannte Stimme gehört. Clive Lowbridge war da.
»Clive - Clive!« schrie sie und hämmerte wieder an die Tür. »Clive! Zu Hilfe!«
Sie lauschte. Eine Tür schlug zu. Dann war alles totenstill. Der Alte war mit Clive aus dem Haus gegangen.
Sie wollte sich nicht hysterischer Furcht hingeben, sie mußte sich zur Ruhe zwingen. Ein Hungergefühl erinnerte sie daran, daß sie seit ihrem kurzen Mittagessen nichts mehr zu sich genommen hatte. Sie ging in die Küche. Beim Anblick der auf dem Tisch aufgestapelten Vorräte wurde sie nachdenklich. Kein Zweifel, daß Laffin sie lange Zeit eingesperrt zu halten gedachte. Aber darüber nachgrübeln konnte sie später noch, erst wollte sie ihren Hunger stillen. Sie machte sich etwas zurecht, aß, wusch die Teller und ging ins Schlafzimmer zurück.
13
Als die Kirchturmuhren zehn schlugen, warf William Holbrook brummend den Stummel seiner letzten Zigarette fort. Er hatte das Mädchen sagen hören, daß sie nur einige Minuten bleiben wolle. Fünf Stunden waren seither vergangen, und sie war nicht wieder herausgekommen.
Laffins Haus stand an einer Straßenecke. Zum x-tenmal wanderte Holbrook durch die Seitengasse zur Rückseite und blickte zu dem erleuchteten Fenster hinauf. Diesmal wurde er belohnt, denn der Kopf des Mädchens tauchte für eine Sekunde auf und verschwand wieder. Vor dem Fenster war ein Gitter - ein ganz neues Gitter. Er hatte es schon bei Tageslicht gesehen. Dabei war ihm die dilettantische Anbringung aufgefallen.
Was sollte er tun? Nachdem der Doktor
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