057 - Im Banne des Unheimlichen
sei hier«, sagte das Mädchen verdutzt. »Er wird in sein Schlafzimmer hinaufgegangen sein. Ich will gleich nachsehen.«
Sie kam nach wenigen Minuten mit der Nachricht zurück, daß der Doktor im ganzen Haus nicht zu finden sei.
Während Bill noch in der Halle wartete, öffnete sich die Küchentür, und eine ältere Frau in einem abgetragenen Mantel, eine Milchkanne in der Hand, trat heraus, verließ das Haus durch den Seiteneingang und humpelte über den Gartenweg auf die Straße hinaus. Es war offenbar die Köchin.
Bill warf einen Blick auf die Straße. Vor dem Haus gingen die beiden Detektive auf und ab. Als das Hausmädchen durch die Halle kam, fragte Holbrook:
»Ist der Doktor erst heute zurückgekommen?«
»Ja, etwas nach zehn Uhr, Sir. Ich erzählte es ihm gleich - wegen der Polizei .«
»Polizei? Wie kommen Sie darauf?«
»Die ganze Nacht und den ganzen Morgen haben zwei Männer das Haus umstellt. Ich wurde so nervös, daß ich am liebsten zu meiner Mutter nach Hause gefahren wäre.«
»Warum nur? Sie haben doch Gesellschaft - die Köchin ist ja auch noch da.«
»Köchin, Sir? Wir haben keine Köchin im Haus. Ich besorge die Küche ganz allein.«
»Ja - wer ist dann aber die ältere Frau in der Küche?«
»Es ist keine ältere Frau da, Sir. Einmal in der Woche kommt eine Aufwartefrau zur Aushilfe, aber heute ist nicht ihr Tag.«
Ein plötzlicher Verdacht schoß Bill durch den Kopf. Er rannte auf die Straße hinaus und starrte in die Richtung, die die alte Frau eingeschlagen hatte.
In diesem Augenblick traf Bullott ein, dem er sofort berichtete, was er erlebt hatte.
»Das war bestimmt Laffin selbst«, meinte der Inspektor nicht ohne Bitterkeit. »Er ist uns in die Falle gegangen, aber wir waren zu dumm, sie rechtzeitig zu schließen.«
Er rief die beiden Wachtposten herein und gab ihnen Weisungen. Zehn Minuten später war ganz Westlondon alarmiert. Die Polizei hielt nach einer alten Frau mit einer Milchkanne und einem Schlüssel in der Hand Ausschau.
Auf dem Rückweg ließ Bullott bei Lord Lowbridge halten. Clive machte ein ernstes Gesicht, als er die Neuigkeiten erfuhr.
»Ach was, Unsinn!« rief er, als er vernahm, Laffin werde wegen Giftmordes an seinem Onkel verfolgt. »Mein Onkel ist eines ganz natürlichen Todes gestorben.«
»Wer hat denn den Totenschein ausgestellt?«
»Natürlich der Hausarzt, Dr. Laffin. Daran habe ich freilich noch nie gedacht. Aber es ist trotzdem ein Wahnsinn, ihn zu verdächtigen. Welchen Nutzen hätte er denn aus dem Tod meines Onkels ziehen können?«
»Er wollte vielleicht die Aufdeckung verhindern, daß er sich durch Betrug in den Besitz eines Landgutes Ihres Onkels gesetzt hatte - durch irgendwelche Manipulationen erreichte er, daß es auf seinen Namen überschrieben wurde. Denn Ihr Onkel wäre mit der Zeit sicher draufgekommen. Sie wissen vermutlich nicht, daß Laffin zu nicht geringem Teil an Ihren elenden Vermögensverhältnissen schuld ist.«
Das Kinn Clives sank auf die Brust hinab.
»Unglaublich, unglaublich -«, murmelte er. »Ich habe Laffin nie besonders geliebt, aber ich glaubte stets, ihm viel Dank zu schulden, und den hätte ich auch abzutragen versucht, wenn mir eine bedeutende Erbschaft zugefallen wäre.«
»Hat er Sie nicht auch in den Orden der Stolzen Söhne von Ragusa eingeführt?«
Clive Lowbridge lachte auf.
»Nein, das ist ihm denn doch nicht gelungen - obgleich er es an Bemühungen nicht hat fehlen lassen.«
33
Bill war noch in seinem Zimmer, als am nächsten Morgen Bullott hereingeplatzt kam.
»Ich weiß eine Neuigkeit, die Sie über alle Maßen interessieren wird, Holbrook! Wir erhielten gestern nacht noch eine Meldung, nach der drei Personen in dem schwarzen Wagen gesichtet wurden. Es ist mir gelungen, festzustellen, wer es war. Am Lenkrad saß ein großer Mann, der nicht zu erkennen war, weil er eine mächtige Schutzbrille trug, aber ich möchte wetten, daß es Kapitän Harvey Hale war, ein vorbestrafter, übelbeleumdeter Mensch. Der zweite war natürlich Joshua Laffin ...«
»Und der dritte?« fiel Bill ungeduldig ein.
»Na, raten Sie mal!«
»Doch nicht Toby Marsh?« entfuhr es Holbrook.
»Toby Marsh und kein anderer. Ich war in seiner Wohnung, um volle Gewißheit zu erlangen. Er hat sich seit der vorletzten Nacht dort nicht mehr sehen lassen. Er fuhr mit Laffin. Ein Polizist in Bath hat die beiden erkannt, als sie das Auto im Hudson Hotel einstellten.«
»Also wirklich Toby Marsh!« rief Holbrook aus.
»Jawohl!
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