0573 - Der uralte Henker
Hörner wuchsen.
Dieses Bild kam dem Henker bekannt vor. So war der Teufel oft gezeichnet worden, und er mußte diesen Menschen recht geben.
Lässig hob der Höllenfürst die rechte Hand. Er besaß lange, dunkle Finger mit überaus scharfen Spitzen. Als er sie bewegte, schossen plötzlich dünne Feuerblitze daraus hervor und umtanzten das Gesicht des Henkers wie eine elektrische Entladung.
»Rühr dich nicht!« flüsterte der Teufel. »Beweg dich nicht mehr! Du hast deinen Spaß gehabt, jetzt werde ich ihn mit dir haben.«
Das Feuer umtanzte noch immer das Gesicht des Henkers. Es berührte auch seine Haut und hinterließ dort winzige Brandflecken.
Sie schmerzten kaum, hinterließen aber bei Lorenzo ein unangenehmes Gefühl.
Das Feuer verschwand wieder. Die Blitze zuckten zurück und hinein in die Fingerspitzen des Satans.
Der schüttelte seinen dreieckigen Schädel. »Warst du wirklich so vermessen zu glauben, daß du mich schaffen könntest? Hast du dir das vorgestellt, Henker? Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgegangen ist, aber du hättest es anders anfangen sollen, um mir zu begegnen.«
»Wie denn?«
»Jetzt ist es zu spät. Ich werde dich für deine Tat zur Rechenschaft ziehen, Lorenzo.«
»Was willst du denn machen?«
»Warte es ab, Lorenzo, wart es nur ab. Zum einen möchte ich dich nicht töten. Nein, der Tod wäre einfach zu gnädig für dich.« Voller Spott fuhr der Teufel fort: »Außerdem zolle ich denen Respekt, die es geschafft haben, mich zu finden.«
Er stand in der Finsternis, aber hinter ihm zischten wieder die Flammen des Höllenfeuers auf, die keinerlei Wärme abgaben. Sie waren kalt und konnten trotzdem verbrennen, ein magisches Phänomen, wie es nur die Hölle hervorbrachte.
»Sprich, Satan!« Lorenzos Stimme klang längst nicht mehr so forsch und ungeduldig.
»Geduld, mein Freund, nur Geduld. Du wolltest die Hölle kennenlernen, du hast einen Teil von ihr gesehen. Das finde ich gut, ich bewundere deinen Mut, und ich will dich auch beschenken, Lorenzo. Obwohl es mir auf der einen Seite leid tut, dich nicht mehr auf die Menschheit loszulassen, bleibe ich bei meinem einmal gefaßten Plan. Ich werde dich hierbehalten. Hier in der Hölle.«
Der Henker erschrak. Der Satan hatte es geschafft, den Spieß umzudrehen, und diese Tatsache ging ihm in die Knochen. Er wußte selbst nicht, was er sagen sollte, bitten, flehen? Nein, das hatte keinen Sinn. Der Satan war ebenso gnadenlos wie er, denn auch Lorenzo hatte niemals auf die Bitten der Delinquenten gehört. Im Gegenteil, sie hatten ihn amüsiert. Er war ein Mensch ohne Herz, und wenn dann war sein Herz aus Eis oder Stein.
»Du hast Angst?« flüsterte der Teufel. Er grinste breit. Seine Zähne glänzten dabei wie Metallstifte.
»Nein!«
Jetzt lachte ihn der Satan kalt aus. »Warum lügst du? Du bist trotz allem ein Mensch. Und Menschen verspüren nun einmal Angst, das laß dir gesagt sein.«
»Was willst du mit mir machen?«
»Wie ich dir schon sagte, ich werde dich in der Hölle lassen. Ich will dich bestrafen. Die Strafe werde ich nicht zeitlich begrenzen. Es wird eine Ewigkeit vergehen, und die Ewigkeit kann man nun mal nicht messen oder berechnen.«
»Für immer?«
»Ja, für immer.«
»Du befindest dich hier in einem Reich, das ich auch zu meiner Hölle zähle. Es ist längst nicht das Zentrum, bewahre. Du pendelst zwischen den Zeiten, in einem Leerraum, im Niemandsland, und du wirst heute für immer bleiben. Es sei denn, ich überlege es mir anders, das aber werde ich wohl kaum.«
Lorenzo gehörte zu den Kämpfern. Er versuchte es ein letztes Mal, sich gegen den Satan aufzulehnen.
Er war zu schwach.
Obwohl er sein Schwert noch umklammert hielt, schaffte er es nicht, es in die Höhe zu bekommen. Die Waffe schien dreimal so viel zu wiegen, das war auch ihm zu schwer.
»Nun?« höhnte der Satan.
»Du hast gewonnen!«
»Das weiß ich, Lorenzo, aber ich werde meinen Sieg noch perfekt machen. Gib acht!«
Wieder bewegte der Teufel seine rechte Hand und auch den Arm mit. Er streckte sie nach hinten, wie es ein Mensch nie gekonnt hätte.
Es sah so aus, als bestünde der Satan aus Gummi.
Die Finger faßten in die Flammen hinein und holten eine Feuerzunge hervor, die der Satan auf seinem flachen Handteller tanzen ließ, ohne daß sie ihn verbrannte.
»Damit!« flüsterte er Lorenzo zu, »damit werde ich dich für die Ewigkeit bannen.«
Der Henker begriff nichts. Sein Blick war nur auf die tanzende Flamme gerichtet, die
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