0574 - Der chinesische Tod
Glanzlos und mit weit geöffneten Augen blieb die Frau liegen.
Man Lei war tot!
Als Suko sich in die Höhe drückte, hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert. Ein Mord war buchstäblich vor seinen Augen geschehen, und er wußte, wer der Mörder war.
Ihn wollte sich Suko holen.
Die flüsternd geführten Gespräche verstummten, als sich der Inspektor drehte und in das von Kerzenlicht erhellte Restaurant schaute, wo die Gäste wirkten, als wären sie nur Staffage eines blutigen Dramas à la Shakespeare.
Die Spieße brannten längst nicht mehr. Zum Glück hatte nichts Feuer gefangen. Nur auf dem Boden glänzten zwei verkohlte Stellen wie riesige Augen.
Jemand kam auf Suko zu. Er löste sich aus dem Halbdämmer. Im Licht der Kerzen warf sein Körper einen Schatten, der viel zu groß für diesen mittelmäßig kleinen Kerl war. Der Geschäftsführer schlich heran wie das schlechte Gewissen persönlich oder wie einer, der falschspielte und noch einen Trick im Ärmel hatte.
Suko wartete nicht auf ihn. Er ging vor. Ehe sich der Schwarzhaarige versah, hatte Suko ihn gepackt und die Revers seines Jacketts so hart gedreht, daß sich der andere wie in einer Zwangsjacke vorkommen mußte.
Er rollte mit den Augen. Im unnatürlichen Kerzenlicht wirkte sein Gesicht wie eine Schattenmaske.
»Was… was wollen Sie von mir?« würgte er.
»Hör zu, Landsmann!« Suko sprach das letzte Wort verächtlich aus. »Ich weiß nicht genau, was hier gespielt wird, aber eines ist sicher: In mir habt ihr euch den Falschen ausgesucht. Ein Mord vor den Augen eines Yard-Inspektors. Das kommt auch nicht alle Tage vor.«
»Was?« Der Knabe zitterte. »Sie sind…«
»Vom Yard, richtig.«
»Aber ich kann nichts dazu!« begann er zu jammern. »Ich habe alles getan, ich bin überfordert.«
Suko stieß ihn weg, als wäre er mit Schmutz besudelt. Ein Gast mußte den Mann abfangen. »Rühren Sie sich nicht von der Stelle!« warnte Suko ihn. »Machen Sie keinen Unsinn!«
»Was soll das denn?«
Der Inspektor kümmerte sich nicht um ihn. Er wollte den heimtückischen Killer.
Sein Karatehieb hatte ausgereicht, um den Mann für eine Weile in den Schlaf zu schicken. Suko wollte ihn auch nicht aufwecken. Für Typen wie ihn trug er immer etwas Bestimmtes bei sich.
Es waren Handschellen. Keine aus Stahl, dafür die neuen aus hartem Kunststoff. Sie waren leichter als die üblichen aus Stahl.
Suko drehte den Mann auf den Bauch, hebelte ihm einen Arm auf den Rücken und wollte den Kreis um dessen Handgelenk schließen, als er plötzlich das Heulen hörte.
Es war ein jaulender, ein klagender und ein gefährlich klingender Ton, der die trügerische Ruhe des Lokals durchbrach und wie das Signal für einen Angriff galt.
Suko schnellte hoch.
Im gleichen Moment huschte etwas auf ihn zu. Bösartig, kreischend und mordlüstern.
Einer der tödlichen Zwerge!
***
Suko war beileibe nicht nach Lachen zumute, auch wenn dieses kleine Monstrum so wirkte. Es reichte dem Inspektor höchstens bis an den Gürtel. Im Verhältnis zum Körper war der Kopf übernatürlich groß. Geifer schäumte vor dem Maul und bildete einen hellen Kontrast zu dem lehmfarbenen, runzligen Gesicht, wo über gelbgrünen Augen dichte Brauen wuchsen, die an helle Balken erinnerten.
Gelbgrüne Augen leuchteten wie Laternen. Die Lippen waren kaum zu sehen. Sie wirkten breit, hatten Ähnlichkeit mit einem Halbmond, dessen Enden nach oben gezogen waren.
Zwei Dinge fielen noch mehr auf.
Einmal war es die lange Nase, die wie ein Knochen vorstach, zum anderen die Ohren. Groß und spitz waren sie. Mr. Spock in der Serie Star Treck war mit ähnlichen Hörorganen ausgestattet gewesen.
Chinesisch jedenfalls sah der böse Zwerg nicht aus, und Suko konnte ihn nur deshalb so gut erkennen, weil der Angreifer mitten in der Bewegung stehengeblieben war.
Der Schaum wollte nicht aufhören, aus dem Maul zu fließen. Er benetzte den Hals und tropfte auch gegen das Hemd, wo er nasse Flecken auf dem roten Stoff hinterließ.
Wenn Blicke töten könnten, wäre Suko schon längst gestorben, so hart schaute ihn das kleine Monstrum an. Der Inspektor war etwas irritiert. Weder von den anwesenden Gästen noch vom Personal rührte sich jemand. Sie alle starrten auf das kleine Monstrum und auf den Fremden. Im Hintergrund bewegten sich die Spießwerfer, die ihre Konditionsschwächen überwunden hatten.
Der Zwerg griff Suko nicht an. Er bewegte sich zur Seite und begann, einen Kreis zu gehen. Mehrmals umrundete er
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