0576 - Brennendes Blut
langmachen und sich abstützen. Die Hände verschwanden im Schnee. In dieser Stellung blieb sie.
Es brannte noch immer. Ihr Blut kochte. Sie wußte, daß etwas Furchtbares geschehen war. Es hing mit ihrem Bruder zusammen, zu dem sie eine besondere Beziehung hatte.
Er verging, sie lebte ihr untotes Dasein weiter. Aber wie sie das tat, war grauenvoll.
Aus ihrem offenen Mund rann der Geifer. Zischend tropfte er in den Schnee.
Sie heulte und wimmerte, fiel hin, wälzte sich durch die weiße Pracht und glaubte ebenfalls, getötet zu werden. Gleißende Hitzewellen durchschossen ihren Körper, erreichten ihr Gehirn und explodierten dort!
Wie eine Verwundete arbeitete sie sich durch den Schnee, kroch ein Stück den Abhang hoch, um nach der Hälfte der Strecke kraftlos wieder zurückzurutschen.
Auf dem Bauch blieb sie liegen. Das Gesicht in den pappigen Schnee gepreßt.
Das Wissen um den Tod ihres heißgeliebten Bruders schüttelte sie.
Noch immer brannte das alte Blut auch in ihrem Körper nach, aber es zerstörte ihn nicht.
Das allein zählte.
Der Anfall war plötzlich gekommen, allmählich klang er ab. Vielleicht war es die Macht der Dunkelheit und die des Mondes, daß sie es schaffte, wieder auf die Beine zu kommen.
Sie blieb nicht stehen, wankte einige Male im Kreis, bis sie wieder zu sich selbst gefunden hatte.
Richard war getötet worden, man hatte ihn vernichtet. Sie aber lebte noch.
Ein Ziel stand vor ihren Augen.
Rache!
Fatima wollte fürchterlich zuschlagen. Der Tod ihres Bruders hatte sie in einen regelrechten Blutrausch versetzt, und sie wußte genau, wo sie hinzugehen hatte…
***
Horace F. Sinclair sah, wie sein Sohn John durch die offene Tür verschwand. Ein Lächeln lag auf den Lippen des älteren Mannes. Er freute sich darüber, daß John im letzten Augenblick erschienen war.
Lange hätte er der Kraft des Vampirs nicht standhalten können.
Das Lächeln aber verschwand von seinen Lippen, als er an die Person dachte, die er am meisten liebte. An seine Frau Mary. Selbst John war es nicht gelungen, eine Spur seiner Mutter zu finden. Dieser verfluchte Vampir hatte alles gelöscht.
Sinclair schwebte zwischen Hoffen und Bangen. Einerseits brauchte ein Vampir Blut, zum anderen aber dachte er daran, einen großen Plan zu erfüllen, und er mußte beides irgendwie in die Reihe bringen. Wie er das schaffte, war seine Sache.
Er hörte, wie John die Treppe hochging. Oben würde er wieder das Grauen sehen. Sinclair selbst hatte nur davon gehört. Für die Helferin mußten es schlimme Minuten gewesen sein, als es der Vampir schaffte, sie in sein dunkles Reich zu ziehen.
Jetzt existierte sie nicht mehr. Lauder war über Nacht zu einer Vampirhölle geworden. Wie ein mächtiges Fallbeil war der Fluch der Untoten über der Stadt zusammengefallen.
Von oben hörte er nichts mehr. Wahrscheinlich durchsuchte John die anderen Räume. Sinclair dachte an die Worte des Docs, als dieser das Haus verlassen hatte.
»Lange werde ich nicht bleiben, Horace…«
Nun war er schon sehr lange weg.
Tief atmete der ältere Mann ein. Er spürte wieder Schweiß auf seiner Stirn, wischte ihn mit einem Tuch weg und nahm auch einen Schluck vom Saft.
Er leerte das Glas, ließ sich wieder zurücksinken, behielt die Lage nur wenige Sekunden bei, weil ihn irgend etwas störte und er sich hinsetzte.
Was hatte ihn gestört?
Horace F. Sinclair dachte darüber nach und kam zu dem Entschluß, daß es die Stille gewesen sein mußte. Diese unnatürliche Ruhe in dem Haus.
Okay, John war nicht mehr in der Nähe, aber er hätte ihn zumindest hören müssen.
Es blieb ruhig.
Sekunden dehnten sich für Sinclair zu winzigen Ewigkeiten. Wenn er etwas vernahm, war es nur sein eigener Atem, der ihm eben wegen der Ruhe schon überlaut vorkam.
Er räusperte sich die Kehle frei, denn er brauchte einfach einen Ansprechpartner. Er wollte nach seinem Sohn rufen, hatte auch schon angesetzt, als sich wieder das erleichterte Lächeln auf seinen Mund legte.
Von oben hörte er Schritte!
John war also doch da!
»Meine Güte!« stöhnte er. »Da macht man sich selbst verrückt. Es ist schon schlimm, wenn man alt wird.«
So wartete er und lauschte dem Klang der Schritte. Anhand der Geräusche konnte er inzwischen genau sagen, welchen Weg derjenige nahm, auch wenn Sinclair ihn nicht sah.
Jemand kam die Treppe herunter. Zunächst achtete Sinclair nicht so sehr darauf, bis ihm plötzlich einfiel, daß diese Schritte nicht seinem Sohn gehörten.
Da kam
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