058 - Der Duft von Sandelholz
unglaublich unhöflich - oder vielleicht hat sie nur Zahnschmerzen, dachte er spöttisch. Oder vielleicht kränkte es auch nur seine männliche Eitelkeit, dass eine hübsche Frau ihn nicht beachtete, selbst wenn sie kurz vor ihrer Verlobung mit Edward Lundy stand.
Und doch schien ihm etwas an ihr vertraut zu sein. Er wünschte, sie würde den Kopf heben und ihn ansehen, damit er feststellen konnte, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
Während er Mrs. Clearwells nächste Fragen nach der kürzlich erfolgten Heirat seiner Schwester Georgiana mit dem Marquess of Griffith beantwortete, musterte er heimlich Miss Balfours kerzengeraden Rücken und ihre verschränkten, weiß behandschuhten Finger.
Als sie getrunken hatte, stellte sie Tasse und Untertasse hin und verschränkte wieder die Hände im Schoß.
Irgendwie rührte ihn ihr scheues, verschlossenes Verhalten.
Ihre Figur war schlank und anmutig, das hellblonde Haar trug sie zu einem festen Knoten verschlungen. Einzelne Strähnen lockten sich um ihr Gesicht und ihren Nacken, der ganz in Spitze gehüllt war.
Sehr hübsch, musste er sich eingestehen. Wer hätte gedacht, dass ein grober Klotz wie Lundy einen so ausgezeichneten Geschmack besaß? Er war beeindruckt.
In diesem Augenblick, als hätte sie seinen prüfenden Blick die ganze Zeit über gespürt und konnte es jetzt nicht mehr aushalten, hob Miss Balfour den Kopf und schaute vorsichtig in Dereks Richtung.
Ihre Blicke begegneten sich.
Sie sahen einander in die Augen.
Er holte tief Luft.
Gütiger Himmel.
Mit einem Schlag erkannte er sie.
Sie war es! Mary Nonesuch - das geheimnisvolle Mädchen aus dem Gartenpavillon.
Bestimmt täuschte er sich.
Er konnte es nicht fassen.
Die beiden älteren Damen plauderten weiter. Lundy fingerte an seinem Daumennagel, und Lily Balfour starrte Derek furchtsam an, warnend, mit der stummen Bitte um Gnade, während ihr Gesicht so weiß war wie Alabaster.
Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können.
Verblüfft betrachtete er den eleganten Schwung ihres Halses, dieses wundervollen Halses, an den er sich von der letzten Nacht her so genau erinnerte. Er liebkoste ihren Hals mit Blicken, ihre blonden Locken, die klare Haut.
Sie war Lundys Verlobte?
Aber wie ...?
Er wollte es nicht glauben, doch je länger er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihm, dass ein Trugschluss unmöglich war. Nein, er erkannte den Glanz dieser lavendelblauen Augen, die er hinter der Halbmaske aus Satin gesehen hatte. Die Erinnerung an ihren strahlenden Glanz war seinem Gedächtnis eingebrannt. Und ihr Mund. Zu sehr hatte er sich dessen Form eingeprägt, um sich irren zu können. Die Form - und den Geschmack.
Er ließ den Blick auf ihren Lippen ruhen, die sie ihm in der vergangenen Nacht angeboten und von denen er so leidenschaftlich gekostet hatte.
Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, als könnte sie seine Gedanken lesen. Jetzt war es an Derek, den Kopf zu senken.
Sein Herz schlug wie rasend, als er sich nach Kräften bemühte, seine wachsende Verwirrung zu verbergen. Was zur Hölle war hier los?
Wenn er an diesen Morgen zurückdachte und an all die Leute, die versucht hatten, ihn zu manipulieren, so konnte er nicht anders, als auch sie misstrauisch zu betrachten. War die letzte Nacht eine Art List gewesen? Eine geplante Falle, um ihn zu betören? War sie Teil des Komplotts? Wusste sie davon, dass es bei diesem um eine gewaltige Summe ging, die dem Armeefonds fehlte?
Lundy hatte ihm schon verraten, dass ihre Familie bankrott war.
Er erinnerte sich an den Diamantohrring, den er für sie aufbewahrte. Nun, wenn sie ihn zurückwollte, dann würde sie ein paar Fragen beantworten müssen. Ganz einfach.
Als Derek einen weiteren Blick in ihre Richtung warf, sah sie ihn mit flehender Miene an, mit der sie darum bat, sie nicht zu verraten. Er sah sie an und verbarg seinen Mund wie zufällig hinter seiner Hand. Er war sicher, dass sein Verlangen für jeden im Raum offensichtlich sein musste, aber niemand schien etwas davon zu bemerken.
Jetzt amüsierte ihn die Erkenntnis, dass sie dagesessen und ihn keineswegs ignoriert hatte, sondern dass sie verzweifelt versucht hatte, seiner Aufmerksamkeit zu entgehen, als könnte sie sich vor ihm verbergen.
Nun, jetzt wusste er zumindest, warum sie ihm in der letzten Nacht nicht ihren Namen verraten hatte. Mary Nonesuch hatte sich einen reichen Nabob geangelt -
und hatte das alles für ein paar Küsse mit ihm aufs Spiel gesetzt.
Diese Erkenntnis
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