058 - Der Duft von Sandelholz
hätte es nur auf sein Vermögen abgesehen. Aber war ihr Verehrer so überzeugt von ihrer finanziellen Notlage, dass er glaubte, nichts würde ihm ihre Gunst entziehen? Dass er so sicher war, sie in der Hand zu haben, stachelte ihren Familienstolz an.
Edward warf einen Blick zur Tür, um sich zu vergewissern, dass ihre Anstandsdame noch nicht wieder da war. Dann setzte er sich neben sie auf das Sofa. „Meine liebe Miss Balfour." Kühn
ergriff er ihre Hand. „Wissen Sie, all diese Fragen sind nicht der einzige Grund für mein Kommen:"
Sie sah ihn zweifelnd an. „Es gibt noch mehr?"
„Natürlich! Ich wollte Sie sehen. Aber das kann ja keine Überraschung für Sie sein.
Ich denke, Sie wissen sehr wohl, dass Sie meine bevorzugte Lady sind."
„Bin ich das?"
„Natürlich sind Sie das. Vergleichbar nur meiner Mutter. Bevorzugt und einzig."
„Nicht zu vergessen Miss Kingsley."
„Die?" Er schnaubte verächtlich, doch zu Lilys Erstaunen errötete der große Mann ein wenig.
„Und was ist mit Ihrer neuen Bekannten, Mrs. Coates?", fragte sie weiter und tat so, als wäre sie eifersüchtig. „Gestern Abend schienen Sie sehr beeindruckt zu sein von ihrer Schönheit."
Er lachte unbehaglich. „Nun, keine von ihnen hat mein Interesse so geweckt wie Sie, meine liebe Lily." Tapfer versuchte er sich an ihrem Vornamen und drückte ihre Hand ein wenig fester. „Lassen Sie mich Ihnen zeigen, wie sehr ich Sie bewundere.
Darf ich ..." Seine heiseren Worte verklangen, als er aufhörte, um Erlaubnis zu fragen, und sie plötzlich küsste.
Entsetzt riss Lily die Augen auf, aber Edwards waren zum Glück geschlossen, als er seine kalten Lippen auf die ihren presste.
Sie hielt ganz still und hoffte, dass Mrs. Clearwell jetzt nicht hereinkam. Es war zu peinlich. Himmel, dachte sie und wartete geduldig darauf, dass er fertig war. Einen Moment lang versuchte sie, einen Hauch der Faszination aufzubringen, die sie bei Dereks Kuss in dem Gartenpavillon erlebt hatte, aber das Bemühen war vergeblich.
Da war nichts.
Von Edward ließ sich das nicht sagen. Unfähig, noch mehr von seinen Aufmerksamkeiten zu ertragen, gelang es ihr, ihn endlich wegzuschieben. Seine Augen waren glasig.
„Liebste", stieß er hervor, „verzeih mir."
„Keine Ursache", sagte sie kurz und wischte sich die Lippen ab, nachdem sie sich diskret abgewandt hatte.
Als Mrs. Clearwell sich vor der Salontür laut räusperte, stand Edward auf. „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Miss Balfour", sagte er zögernd.
Wieder faltete Lily die Hände im Schoß. „Auch Ihnen einen guten Tag, Mr. Lundy."
Auf seine Verbeugung antwortete sie mit einem Nicken, dann sah sie ihm nach, wie er aus dem Salon ging, Mrs. Clearwell höflich einen guten Nachmittag wünschte und schließlich zur Tür stapfte.
Als sie hörte, wie die Haustür sich hinter ihm schloss, ließ Lily sich in die Kissen hinter ihrem Rücken sinken und presste eine Hand auf ihr wild klopfendes Herz. Sie war ganz matt vor Erleichterung, ihm so knapp entkommen zu sein.
„Er hat die Ohrringe nicht erwähnt - zum Glück", berichtete sie, als Mrs. Clearwell mit dem Tee hereintrat.
„Ich habe alles gehört", sagte ihre Gönnerin streng.
„Haben Sie?" Lily sah sie überrascht an.
„Ich bin deine Anstandsdame. Es ist mein von Gott gegebenes Recht, ja - meine Pflicht, zu lauschen. Also." Mrs. Clearwell stellte eine Tasse vor Lily und setzte sich ihr gegenüber auf die Tischkante. „Du hast erlaubt, dass er dich küsst?"
„Ja", gab sie zu. „Es war schrecklich."
„Da bin ich aber froh. Trink deinen Tee, Liebes. Du bist bleich wie ein Laken."
„Das ging aber schnell mit dem Tee", murmelte Lily und nahm die Tasse, die vor ihr stand.
„Eliza kennt uns gut. Sie hatte schon das Wasser zum Kochen gebracht."
Tatsächlich half ihr der Tee mit Zucker und Milch, sich zu beruhigen, was ein Glück war, denn Lily würde einen klaren Verstand brauchen.
Mrs. Clearwell schüttelte den Kopf. „Sehr bald schon wirst du eine sehr wichtige Entscheidung treffen müssen, mein Mädchen. Erst ein Kuss, darauf folgt ein Heiratsantrag. Du musst dir ganz sicher sein."
Aber ich bin sicher, und meine Entscheidung ist getroffen, wollte Lily sagen. Doch sie stellte fest, dass sie das nicht konnte.
War sie sich wirklich sicher?
„Lily, Liebes", Mrs. Clearwell legte in mütterlicher Zuneigung für einen Moment eine Hand an Lilys Wange. „Du weißt, ich habe dich sehr lieb, aber du kannst nicht einen Mann heiraten, wenn
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