058 - Der Duft von Sandelholz
werden. Er wusste sehr gut, dass er sie am Haken hatte. Aber aus irgendeinem Grund quälte er sie und ließ sich Zeit dabei, die Schnur einzuholen. Sie wünschte, er würde dem Ganzen ein Ende setzen.
An dem Tag, an dem die Gartenparty stattfand, spielte das Blasorchester fröhlich im Schatten einiger Bäume. Unter dem großen gestreiften Zelt gab es reichlich zu trinken, Schalen mit spritzigem Früchtepunsch und Fässer mit bernsteinfarbenem Ale. Das Essen für das Picknick, köstlich und reichlich, stand auf den langen Tischen ausgebreitet.
Selbst das wechselhafte englische Wetter war angenehm.
Überall auf Edwards Anwesen waren Spiele und Wettkämpfe im Gange, während der Sommer sich seinem Höhepunkt näherte. Kricket und Bogenschießen, Tennis und Rasenbowling, Rudern auf dem kleinen See - und natürlich wurden die Spiele von vielen Koketterien und lebhaften Gesprächen begleitet. Jene Angehörigen der guten Gesellschaft, die angekommen waren
und sich erst einmal unbehaglich umgesehen hatten, um festzustellen, ob ihr Gastgeber ihrer vielleicht gar nicht würdig war, entspannten sich sehr schnell angesichts all des Vergnügens und der Fröhlichkeit.
Lily war erleichtert für die Lundys - und für sich selbst als seine zukünftige Gemahlin.
Sie hoffte, dass weder Edward noch seine Mutter sich blamierten, und bisher ging bei ihrem ersten Versuch, Gastgeber bei einem gesellschaftlichen Ereignis zu sein, alles glatt.
Sie für ihren Teil allerdings fand die Vorstellung, Derek auf diesem Fest wiederzusehen, nahezu unerträglich. Es war beinahe eine Woche her, seit sie sich zuletzt im Stall gesehen hatten -und seine Weigerung, mit ihr in England zu bleiben, schmerzte noch immer.
Es schmerzte schrecklich.
Aber sie konnte unmöglich mit ihm nach Indien gehen! Gewiss wusste er das. Sie war nicht einmal sicher, ob seine Frage ernst gemeint war. Vielleicht war diese erschreckende Erklärung nur seine Art und Weise, junge Damen loszuwerden, die sich zu sehr zu ihm hingezogen fühlten.
Er war noch nicht fort, aber dennoch hatte sie das Gefühl, als wäre sie wieder verlassen worden, genauso wie damals, als ihr Vater fortgesegelt und niemals zurückgekommen war. Gerechterweise musste sie zugeben, dass sie nicht sicher war, inwieweit ihr Zorn in der letzten Woche mit Derek zu tun hatte und wie viel davon mit dem Verschwinden ihres Vaters aus ihrem Leben -aber das war jetzt kaum noch wichtig.
Die schlichte Wahrheit war, dass seine militärische Karriere ihm wichtiger war als ein Leben, eine Liebe und eine Zukunft mit ihr, und das gab ihr das Gefühl, dass sie überhaupt nicht zählte.
Wenigstens war sie für Edward wichtig.
Nun, es ist Pech für Derek, wenn er nicht klug genug ist zu begreifen, was ihm entgeht, dachte sie, als sie im strahlenden Sonnenschein stand und seine Ankunft halb herbeisehnte und halb fürchtete. Die Ohrringe ihrer Urgroßmutter waren das Mindeste, was sie für die wahre Liebe geben würde, aber der strahlende Kavallerist war geblendet von Reichtum und Ehre und wollte an so etwas nicht glauben.
Natürlich hoffte sie, dass er niemals davon erfuhr, dass sie die Ohrringe geopfert hatte, denn es wäre beschämend für sie, wenn er wüsste, wie viele Gefühle sie inzwischen für ihn entwickelt hatte.
Und noch etwas anderes ging Lily seit dem kleinen Zwischenspiel im Stall nicht aus dem Sinn.
Während es leicht war, Dereks Pläne, England zu verlassen, mit denen ihres Vaters zu vergleichen, war es ebenso einfach, sein Benehmen in Gegensatz zu dem von Lord Owen Masters in ihrer Vergangenheit zu stellen.
Letzte Woche in der verflixten Pferdebox hatte die Leidenschaft sie beide mitgerissen, aber anders als ihr Verführer vor vielen Jahren hatte Derek sie nicht bedrängt, ihm mehr zu geben. Tatsächlich war er es gewesen, der allem ein Ende gesetzt hatte. Lily hätte mit Vergnügen weitergemacht, doch Derek hatte sich dazu gezwungen aufzuhören.
Das hatte sie überrascht.
Owen hatte sie nicht nur angebettelt, sondern ihr auch erklärt, dass „er in seiner Anatomie" einen solchen Schmerz empfinden würde, wie keine Frau ihn je verstehen könnte, wenn sie sich jetzt nicht hinlegte und ihn seine körperlichen Bedürfnisse befriedigen ließ.
Fünfzehn Jahre alt und viel zu vertrauensselig, hatte Lily ihm alles geglaubt und die Vorstellung nicht ausgehalten, dass ihr „Geliebter" um ihretwillen litt. Also hatte sie es ertragen - obwohl das, was er getan hatte, ihrer „Anatomie" Schmerz zugefügt
Weitere Kostenlose Bücher