0581 - Der Blutstein
nicht.«
»Soll ich mit ihr sprechen? Ich bin ihr Sohn. Mich wird sie verstehen, wenn ich ihr das Problem erkläre.«
»Vielleicht.«
Ich schaute auf die Waffe in meiner rechten Hand. Sie war wirklich außergewöhnlich. So ein Mittelding zwischen Lanze und Schwert hatte ich noch nie in meinem Leben zu Gesicht bekommen.
Wo Gina steckte, wußte ich nicht. Es war ihr jedenfalls gelungen, das Zimmer zu verlassen. Ich suchte noch die Ecken ab, konnte sie nicht entdecken.
Dafür sah ich den Jungen. Er stand an der offenen Tür, die Schultern nach vorn gebeugt. Die Arme hingen wie ruhende Pendel zu beiden Seiten des Körpers herab.
»Weißt du, wo sie ist?« fragte ich beim Näherkommen.
Er schüttelte den Kopf.
Ich schob ihn zur Seite und trat hinaus in den Flur. »Gina!« rief ich laut. »Gina, ich muß mit dir sprechen. Los, zeig dich!«
Zeig dich… zeig dich …
Meine letzten Worte rollten als Echo durch das alte Schloß. Eine Antwort bekam ich nicht.
Dennis war mir nachgekommen. »Du hast sie vertrieben«, sagte er leise. »Ja, du hast sie vertrieben. Du bist es schuld wenn du deine Mutter nicht findest, John.«
»Vergiß nicht, daß sie mich hat töten wollen, Junge. Die Waffe hätte mich durchbohrt.«
»Jetzt willst du dich rächen, wie?«
»Ich will mit ihr reden, das ist alles.«
Während meiner Worte ging ich durch den Schloßgang. Es war still geworden. Der Blutgeruch hing zwischen den Wänden. Ich saugte ihn mit jedem Atemzug auf und schmeckte ihn auf der Zunge. Gina war eine Mörderin. Sie hatte das Blut der Menschen benutzt, um den verdammten Stein aufzufüllen. Ihn genau brauchte ich. Für mich stand ferner fest, daß sie ihn mir freiwillig nicht geben würde, denn er garantierte ihr Leben. Das meiner Mutter war mir wichtiger.
Neben einer alten Rüstung blieb ich stehen. Zwischen ihr und der Wand schimmerten helle Spinnweben. Dennis war mir gefolgt und stand an meiner linken Seite.
»Gina ist nicht mehr da. Sie hat das Schloß verlassen. Du hast sie vertrieben.«
»Das glaube ich nicht.«
»Dann hätte sie sich gezeigt.«
»Vielleicht hat sie Angst.« Ich wechselte das Thema. »Du aber bist davon überzeugt, daß sie deine Mutter ist.«
»Ja, meine echte.«
»Du hast dich immer an sie erinnert, wenn sie dir deine Träume schickte, nicht wahr?«
»So ist es.«
Im Dunkeln konnte ich sein Gesicht nicht genau erkennen, nur das Glänzen des Schweißes auf seiner Haut. »Wenn die Träume sehr intensiv gewesen sind, Dennis, dann müßtest du das Schloß hier kennen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das nicht. Wir… wir haben immer in einer Hütte gelebt.«
»Wo stand die?«
»Am Waldrand.«
»Kannst du mich hinführen?«
Er hob die Schultern. »Das weiß ich nicht, ob ich das kann. Nein, das weiß ich nicht.«
»Mir geht es um den Blutstein. Wahrscheinlich finde ich ihn hier im Schloß nicht.«
»Das ist möglich.«
»Sie muß ihn schon immer gehabt haben, Dennis.«
Dennis Höller besaß einen wachen Verstand. »Du meinst, John, daß er sich außerhalb des Schlosses befindet.«
»Ja, so sehe ich das.«
»Aber wo?«
»Könnte es nicht sein, mein Junge, daß du dich daran erinnerst, wenn du genau nachdenkst?«
»Niemals!«
Die Antwort war mir zu spontan gekommen, um ehrlich zu sein.
»Du willst nicht, Dennis.«
»Nein, ich kann mich nicht erinnern.« Er schüttelte den Kopf.
»Nicht an diese Dinge!«
»Doch, Dennis, doch!«
»Nein, niemals!« schrie er. »Daran kann ich mich nicht erinnern. Laß mich in Ruhe!« fauchte er mich an. »Laß mich in Ruhe!« Dennis war zwar der gleiche Junge geblieben, für meinen Geschmack aber schien er von einem unseligen Geist befallen zu sein. Sollte es seine »Mutter« geschafft haben, eine innerliche Kontrolle über ihn zu bekommen?
Seine Haltung deutete darauf hin. Er war zurückgewichen, stand vor mir wie ein sprungbereiter Panther. In seinen Augen sah ich das kalte Funkeln. War es sein Blick oder schon der von Gina?
»Red schon, Junge!«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts, ich kenne das Versteck nicht. Ich will es auch nicht kennen. Ich…«
Da griff ich zu.
Er wollte sich noch zur Seite wegducken, aber meine Hand war schneller. Wie ein Schraubstock griffen die Finger zu, als sie sich in seine Schulter bohrten.
Dennis schrie nicht, er trat nach mir und erwischte mein Schienbein. Das tat verdammt weh, doch ich ließ mir nichts anmerken und verbiß den Schmerz.
»Wo befindet sich der Stein?«
»Du willst meine Mutter töten,
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