0581 - Der Blutstein
näher an das Gesicht heran.
Dennis fing an zu keuchen. Aus dem Maul der Hexe vernahm ich keinen Laut. Der Junge kämpfte innerlich. »Überleg es dir«, sagte ich. »Denk nach. Erinnere dich an deine Träume und an die Zeit früher. Du hast es erlebt, du weißt genau, wo die Hütte stand. Du kennst den Blutstein, Dennis. Wo liegt er verborgen?«
»Nicht in der Hütte, bitte…«
»Wo?« schrie ich.
»Weg, weiter weg!«
»Wie weit?« Ich brachte meine Hand mit dem Kreuz noch näher an das Gesicht heran. »Wie weit, Dennis?«
»Neiiiinnn!« kreischte die Hexe. »Sag es nicht. Sag es nicht, verdammt noch mal.«
»Dann stirbst du, Mutter!«
»Er wird es nicht wagen!«
Die Lage spitzte sich zu, und ich tat nichts, um sie zu erleichtern.
»O doch, Gina, du brauchst nicht zu denken, daß ich bluffe. Für mich geht es um verdammt viel. Das hier ist eine persönliche Sache, verstehst du? Ich kann keine Rücksicht mehr nehmen. Ich muß wissen, wo sich der Stein befindet. Deshalb bluffe ich auch nicht!«
Die Worte waren an Gina gerichtet worden, doch auch der Junge hatte genau zugehört. Ein gequält klingendes Seufzen entwich seinem Mund. Er holte sich Rat bei der Mutter. »Was soll ich tun?«
»Nicht beirren lassen!« kreischte das Maul. »Laß dich nicht beirren, mein Junge!«
»Aber ich…«
»Nein!«
»Gut, dann…« ich sprach nicht mehr weiter und schob beide Gegenstände aufeinander zu.
Kreuz und Schädel!
Ich hatte tatsächlich vor, den Kopf zu vernichten, dazu kam es so schnell nicht mehr.
Hinter mir hörte ich Schritte.
Zusammen mit dem Kreuz und dem Kopf in den Händen fuhr ich herum – und sah das Grauenhafte.
Aus der Dunkelheit des Ganges schob sich etwas hervor. Zunächst sah der Gegenstand aus wie ein wandelnder Schatten, der trotzdem mit den Sohlen über den Boden schleifte.
Erst als er den schwachen Lichtschein erreichte, erkannte ich ihn.
Es war der kopflose Torso der Hexe Gina. Und genau dort, wo sich einmal der Kopf befunden hatte, hielten die Hände den Schild als Deckung hoch. Auf dem Schild leuchtete in einem fahlen Grün ein ineinandergeschobener Druidenstern, der aus zwei Dreiecken bestand.
Mir war klar, daß sich der Körper zum Kampf stellen wollte…
***
Wie ein Schatten mit zwei hellen Augen bewegte sich der kleine Wagen durch die Dunkelheit der Täler.
Horace F. Sinclair saß ruhig auf dem Nebensitz, ohne ein Wort zu sagen. Daß er innerlich erregt war, erkannte Suko an den Bewegungen seiner Hände. Sie öffneten und schlossen sich in regelmäßigen Abständen.
Auf dem Rücksitz lag Orth, der Hausmeister. Einige Male hatte er auf einen Engländer geflucht, der ihm die Verwundung beigebracht hatte. Immer wenn er sich bewegte, kam der Haß auf den Engländer hoch. Sinclair hatte die Worte sehr wohl verstanden, er wußte auch genau, wer damit gemeint war, aber er hielt sich zurück.
Nur in seinem Innern mußte eine Hölle kochen. Er konnte auch nicht mehr schweigen. »Was wollte dieser Mann denn von Ihnen?« fragte er plötzlich.
»Von mir nichts. Er hat den Jungen befreit.«
»Ist das etwas Schlimmes?«
»Klar, denn er weiß ebenso wie Gina, wo sich der Blutstein befindet. Daran mußt du denken.«
»Wissen Sie es auch?«
»Nein.«
»Tatsächlich nicht?« fragte Suko.
Orth lachte und wälzte sich nach links, um etwas bequemer liegen zu können. »Nun ja, ich könnte es mir vorstellen. Ich war schließlich ein Vertrauter der Hexe oder bin es noch. Ich mußte genau achtgeben, daß ich den Jungen nicht aus den Augen verliere. Ich bin in gewisser Hinsicht sein Schutzpatron, wenn ihr versteht.«
»Das ist jetzt vorbei«, sagte Suko.
»Leider.«
»Dann ist auch der Weg zum Blutstein frei – oder nicht?«
»Das will ich nicht hoffen.«
»Müßten Sie ihn nicht verteidigen?« fragte Horace F. Sinclair.
»Wenn der Stein dermaßen wichtig ist, dann kann er doch nicht ohne Wache zurückbleiben.«
»Er liegt gut versteckt«, drang es flüsternd aus dem Rückraum.
»Er liegt sogar sehr gut versteckt.«
»Wo denn?«
»In der Erde!«
Es war eine spontane Antwort. Orth hatte sie eigentlich nicht geben wollen, und er biß sich dafür auch auf die Lippen und machte sich Vorwürfe.
Sinclair warf Suko einen raschen Blick zu. Der Inspektor verstand, fuhr rechts ran und hielt.
»He«, beschwerte sich Orth, wobei er sich langsam aufrichtete und den Kopf nach rechts und links bewegte. »Wir sind noch nicht da. Das Schloß liegt weiter links.«
Suko drehte sich auf dem Sitz
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