0581 - Der Blutstein
Blutstein ist meine Versicherung. Wenn ich ihn auffülle, bleibe ich am Leben, und Opfer, denen ich das Blut entnehmen kann, bekomme ich genug.«
»Ich las die Anzeige.«
Der schwarzverbrannte Schädel gab ein Lachen von sich. »Gut, nicht wahr? Du glaubst gar nicht, wie oft ich Besuch bekomme. Die Menschen heute werden mit sich selbst nicht mehr fertig. Sie wollen einfach Ratschläge hören. Das ist es, was mich beschäftigt. Ich habe mich der heutigen Zeit angepaßt. Die Klienten kommen zu mir und glauben, daß ich sie von ihren Problemen befreien kann. Das ist natürlich Quatsch. Wenn man die richtigen Worte findet, glauben sie alles.«
»Und du nimmst ihr Blut!«
»Nicht von jedem, doch wenn ich das Rufen des Steines spüre und gleichzeitig merke, wie es in mir drängt, dann suche ich mir wieder einen aus.«
»Wie den Mann, der dort hängt.«
»Ja, er war reif. Er lebte hier allein, war Ausländer. Er hieß Carlos. Niemand wird ihm eine Träne nachweinen. Meine Waffe hat es geschafft.«
Ich schaute auf die Mischung aus Schwert und Lanze. Das also war ihre Mordwaffe.
»Ja, damit tötete ich ihn.«
»Nur mich hast du nicht geschafft.«
»Nein, die Macht deines Kreuzes ist zu groß. Sie hat das Lanzenschwert abgeleitet. Nimm das als günstiges Zeichen, als einen Wink des Schicksals hin. Mehr kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Nimm es hin und verlasse diesen Ort.«
»Das werde ich.«
»Noch einmal kommst du nicht davon.«
»Irrtum, Gina. Ich werde ihn nur verlassen, um mir den Blutstein zu holen.«
Der Kopf bewegte sich zwischen Dennis’ Händen ruckartig, als die Hexe lachte. »Du bist doch ein Narr, Mensch, ein riesengroßer Narr. Niemals werde ich dir sagen, wo du ihn finden kannst.«
»Das glaube ich dir sogar.«
»Dann geh endlich.«
»Nein, Gina, du wirst es mir nicht sagen, bestimmt nicht.« Ich täuschte sie, indem ich die Schulter anhob, im nächsten Augenblick aber so schnell zugriff, daß Dennis nicht mehr zurückweichen konnte. Plötzlich hatte ich ihm den Hexenschädel entrissen. Meine linke Hand wühlte sich in das graue, sperrige Haar. Aus dem Maul der Hexe drang ein wütendes Schreien, das verstummte, als ich das Kreuz dicht vor das Gesicht brachte. Nur noch eine Fingerlänge, und es war um sie geschehen.
Die Schreie verstummten.
»Ganz ruhig!« flüsterte ich Gina zu. »Du hast gesehen, zu was das Kreuz fähig ist. Auch Dennis weiß es, nicht wahr mein Junge?«
Er nickte, reden konnte er nicht.
»Willst du, daß deine Mutter noch weiterexistiert?«
»Ja…«
»Dann sprich, Junge. Du wirst mir sagen, wo ich den, Blutstein finden kann. Versuch, dich zu erinnern, aber leg mich nicht rein! Es würde Gina nicht bekommen.«
Mit Gina meinte ich in diesem speziellen Fall den Kopf, den ich in der ausgestreckten Linken hielt, während ich mit der Rechten das Kreuz umklammerte.
Daß ich den Jungen durch eine Hölle schickte, war mir klar. Es tat mir auch leid, nur konnte ich beim besten Willen nicht mehr zurückweichen. Es stand einfach zuviel auf dem Spiel. Es ging um das Leben meiner Mutter, auch darum, daß Gina nicht weitermordete, natürlich um den Blutstein und letztendlich um die große Gefahr einer weltumspannenden Vampirseuche, die Will Mallmann eingeläutet hatte.
Dennis Höller war hin- und hergerissen. Er wußte überhaupt nicht mehr, was er tun sollte. Einige Schritte war er zur Seite gegangen und stand neben der offenen Tür im schwachen Licht. Sein Blick zuckte zwischen dem verbrannten Kopf und mir hin und her.
»Bleib nur ruhig, Dennis!« flüsterte ich. »Das hier ist allein meine Sache.«
Der Junge keuchte. Sein Gesicht verzerrte sich. In ihm spiegelte sich der Widerstreit seiner Gefühle. Er wußte nicht, auf welche Seite er sich stellen sollte.
Da war einmal seine Mutter, aber ein Monstrum. Alpträume hatten ihn eingeholt und waren zur Realität geworden. Auf der anderen Seite stand ich, mußte den Blutstein bekommen, um das Leben meiner Mutter zu retten.
Konnte ich deswegen aber ein anderes in die Waagschale werfen?
Wenn ich Dennis nicht überzeugen konnte und er nicht nachgab, geriet ich in eine verdammte Zwickmühle.
Noch tat er nichts. Ich aber kümmerte mich um den Kopf, der lebte. Auf dem Gesicht bewegten sich die schwarzen Stellen, als wollten sie sich ineinanderschieben. Die Augen bewegten sich rollend wie kleine Laternen. Boshaftigkeit und Haß leuchteten mir aus ihnen entgegen.
Mit einer sehr langsamen Bewegung brachte ich das Kreuz
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