0585 - Unterwelt
oberflächlich die Clique war, wie egoistisch und auch exzentrisch. Da galten die anderen nichts, nur die Ichpersonen zählten. Menschlichkeit und Wärme waren Fremdworte.
P.P. hüllte sich noch fester in die Decke ein. Vor ihrer Brust raffte sie das schützende Tuch zusammen. Keiner kümmerte sich um sie.
Bevor sie in einen Kanal oder eine Röhre hineinschritt, schaute sich das Mädchen noch einmal um.
Nicht einer gönnte ihr einen Blick. Sie waren alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt, und der aus den Flammen steigende Rauch ließ ihre Gestalten zu ungewöhnlichen Figuren zerfließen, als wären diese dabei, sich aufzulösen.
Ein Bild, das irgendwie symptomatisch für die Freaks war. Jedenfalls kam es ihr so vor. Die Gruppe war zwar zusammen, die innere Auflösung ließ sich nicht mehr aufhalten.
Princess Perfect hatte längst beschlossen, auszusteigen. Sie wollte einfach nicht mehr weitermachen.
P.P. ging wie eine alte Frau, so gebückt tauchte sie in den feuchten Stollen. Zu beiden Seiten des mit schmutzigem Wasser gefüllten Kanals waren Gehwege angelegt worden. Wenn die breite Rinne besonders viel Wasser führte, wurden auch die Gehwege überspült, und diese Feuchtigkeit trocknete nie weg, denn kein Windstoß fuhr durch die Unterwelt. Wenn Wasser verdampfte, schlug es sich an den gemauerten Wänden und der Decke nieder.
Princess Perfect hätte gern gesehen, wenn sie jemand begleitet hätte. Sie gehörte zu den Menschen, die nur in der Gruppe stark waren und dort Schutz suchten. Allein kam sie sich hilflos vor, besonders in einer Welt wie dieser, wo es vor Ratten wimmelte, die nur darauf warteten, Menschen angreifen zu können.
Der Lärm hinter ihr blieb zurück. Wenn sich P.P. drehte, sah sie nur mehr den schwachen Schein der Flammen, die von hellgrauen Rauchwolken umhüllt waren.
Andere Geräusche umgaben sie. Da rauschte das Wasser neben ihr her wie ein schneller Strom. Wellen hatten sich gebildet, auch kleine Strudel, die auf ihrer Oberfläche weiße Schaumkronen führten. In den Taschen des langen Kleides steckte eine kleine Lampe. Ein jeder von ihnen war damit ausgerüstet. Sollte mal etwas nicht funktionieren, konnten sie wenigstens den Weg in der Dunkelheit finden. Die Lampe brauchte sie allerdings nicht, weil in unregelmäßigen Abständen unterhalb der Decke durch Gitter gesicherte Lampen hingen, die ihr Licht verteilten wie blasse Augen.
Es fiel auch gegen das Wasser und schuf auf der Oberfläche die hellen Reflexe.
Die Nische, die sich P.P. ausgesucht hatte, lag ein gutes Stück entfernt. An der Rückseite besaß sie eine Stahltür, die allerdings verschlossen war. Jenseits der Tür mußte einer der Fluchtwege beginnen, die ebenfalls angelegt worden waren.
Vor der Nische blieb sie stehen und schaute noch einmal zurück.
Ein helles Kreischen übertönte selbst das Rauschen des Wassers. Der Stimme nach mußte es Sam ausgestoßen haben. Er war der Verrückteste unter ihnen und hatte Probleme mit seiner Sexualität. Manchmal wurde er zu einem widerlichen Narziß, dann wiederum konnte er stundenlang in der Ecke hocken und heulen.
Nach Heulen war auch ihr zumute, als sie sich in die Nische drückte und sich zunächst einmal gegen eine der beiden Seitenwände lehnte. Die Kälte spürte sie durch die Decke. Von der Feuchtigkeit war sie mittlerweile klamm geworden. Dennoch zerrte Princess Perfect sie vor der Brust zusammen.
Auf einmal packte sie der Schüttelfrost. Sie klapperte mit den Zähnen. Schweiß brach ihr aus allen Poren.
»Ich bin krank!« flüsterte sie mit klappernden Zähnen. »Ich bin krank. Ich kann nicht mehr.« Auch die Beine konnten das Gewicht kaum tragen. Sie legte den Kopf zurück, öffnete den Mund und holte tief Luft. Sie stank bestialisch, was nicht gerade dazu beitrug, die Übelkeit zu unterdrücken.
Im Gegenteil. Plötzlich wanderte der Magen hoch in Richtung Kehle, der Druck war nicht mehr auszuhalten. Sie beugte sich nach vorn und mußte sich übergeben. Wie ein Sturzbach brach es aus ihr hervor.
Es kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor, als sie sich endlich aufrichtete und sich wieder mit dem Rücken gegen die Mauer preßte.
Die Schminke war im Schweiß und in den Tränen verlaufen. Jetzt hätte auf sie der Begriff ugly – häßlich – gepaßt. Sie fühlte sich häßlich und gleichzeitig krank.
Noch einmal beugte sich P.P. vor. Sie preßte ihre Handflächen auf die Oberschenkel und mußte abermals würgen. Das lange Haar war verklebt. Eine Schleife hatte
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