0589 - Die Kugelköpfe
die Wagen anruckten.
Sehr langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Durch die beiden sich gegenüberliegenden Fenster wehte die Luft und verteilte sich.
Suko hatte sich nicht in den unmittelbaren Durchzug gesetzt, er hockte weiter hinten, wo die Winde ihn nur streichelten.
Er und sein Freund würden die Spur wieder erneut aufnehmen müssen. Zunächst bei dem Absteigen-Besitzer Sajastin und möglicherweise auch noch im Pfandhaus, wo alles seinen Anfang genommen hatte.
Suko hatte den Kopf etwas gedreht, die Beine ausgestreckt und schaute aus dem Fenster. Wieder einmal glitt die Landschaft vorbei, nur an bestimmten Stellen herausgenommen aus dem Dunkel der Nacht. Wenig Licht, viel Schatten, dichte Wolken am Himmel, die eine schwüle Luft noch tiefer drückten.
Der Fahrtwind brachte ebenfalls kaum Kühlung, er verteilte die Luft nur anders.
Suko sah auch das matte Glänzen der Schienen. Sie rollten auf einen Verteiler zu, wo die Schienen abzweigten und in mehrere Richtungen auseinanderliefen.
Ein alter Bahnhof wurde durchfahren. Auf Nebengleisen standen Güterwaggons im fahlen Licht der Laternen. Hinter den Scheiben eines alten Bahnwärterhauses glänzte mattes Licht.
Suko stand auf. Er mußte sich einfach bewegen, das lange Sitzen gefiel ihm nicht.
Über den Toten stieg er hinweg. Er blickte auch in dessen Gesicht, das aussah wie ein Werk eines Bildhauers, der erst damit begonnen hatte, sich etwas zu schaffen.
Falten, Gräben, Hügel und Mulden. Kalt und steif wirkte die Haut, als wäre sie eingefroren worden.
Suko schritt weiter, hielt sich an den Griffstangen fest, geriet in den Durchzug und genoß für einen Moment die Kühle. Sie brachte sogar den frischen Heugeruch mit in den Wagen, denn der Zug rollte jetzt an weiten Feldern vorbei.
Was hinter ihm geschah, bekam Suko nicht mit. Im Wagen tat sich nichts, dafür an der Außenseite, denn dort vibrierte die Luft für einen kurzen Augenblick, bevor aus diesem ungewöhnlichen und unerklärlichen Zittern etwas entstand.
Ein Körper und ein Gesicht!
Der Kopf wie eine Kugel, haarlos, bleich wie ein Vollmond, in den jemand zwei runde Knöpfe als Augen hineingepreßt hatte. Augen mit einem sehr bösen Blick. Pupillen glatt wie Murmeln, kurze Nase, ein Mund wie ein nach unten gekippter Halbmond und auf der hohen Stirn die blutige Rißwunde, die von den Augen leicht schräg bis auf die Kopfmitte in einem Zickzack-Muster zulief.
Er war da und blieb!
Weit genug von Suko entfernt, der ihn auch durch ein plötzliches Umdrehen nicht hätte entdecken können.
Der Kugelkopf blieb. Sein runder Schädel schien außen an der Scheibe zu kleben. Nicht ein Haar wuchs auf der Platte. Die Augen glotzten in das Innere des Wagens, sie kontrollierten, und sie beobachteten. Besonders scharf richteten sie ihren Blick auf den am Boden liegenden Toten, als wollte die Gestalt die Leiche zum Leben erwecken.
Sekunden verstrichen.
Der Kugelkopf schob sich langsam näher. Mit dem Fahrtwind hatte er nichts im Sinn. Bei ihm sah es aus, als wäre er überhaupt nicht vorhanden.
So schob er sich näher – und höher.
Es war klar, was er vorhatte. Er mußte in den Wagen kommen, er wollte an die Leiche.
Geschickt schob er sich durch die Öffnung, wobei er seinen kugeligen Schädel dermaßen veränderte, daß dieser in einer länglichen Form genau paßte.
Suko hatte ihn nicht gesehen. Der Kugelkopf stand im Gang zwischen zwei sich gegenüberliegenden Sitzen. Er brauchte nur einen Schritt weit zu gehen, um den Toten zu erreichen.
Er tat es, blieb direkt daneben stehen und streckte die Arme vor, so daß seine Hände über der Gestalt schwebten. Für eine Weile blieben die Finger aneinandergelegt, dann spreizte er sie und tat es mit einer sehr grazilen Bewegung wie ein Zauberkünstler, der die Zuschauer auf diese pantomimenhafte Art und Weise auf einen bestimmten Punkt lenken wollte.
Die Leiche reagierte, begann zu schweben!
Unsichtbare Fäden schienen die Finger mit dem Toten zu verbinden. Fäden, die es schafften, ihn in die Höhe zu ziehen.
Der Kugelkopf rührte sich nicht. Er bewegte nicht einmal seine Hände, von denen aus das magische Flair die Leiche berührte und sie den Flächen entgegenhob.
Ein magisches Phänomen, das der Kugelkopf mit einer bald schon erschreckenden Leichtigkeit durchführte.
Suko sah nichts.
Aber er spürte, daß sich etwas innerhalb des Wagens verändert hatte. Es war nur mehr ein Gefühl, vielleicht ein leichtes Kribbeln auf dem Rücken, mehr nicht. Der
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