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059 - Das Experiment

059 - Das Experiment

Titel: 059 - Das Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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alles.«
    Die Nixe trat näher, hinein ins Mondlicht, das ihre Schuppen glitzern ließ. In einer fließenden Bewegung ließ sie sich neben Clay nieder. Ihre wulstigen Lippen spalteten sich zu einem Grinsen, das zwei Reihen nadelspitzer Zähne entblößte. Vermutlich sollte es eine freundliche Geste sein.
    Clay blieb ganz ruhig; er fürchtete sich nicht.
    Sie legte ihre Rechte über die vollen Brüste und sagte: »Ul'ia.«
    Ein Name! Endlich musste er sich nicht mehr mit Begriffen wie Seeteufel, Nixe oder Fishmanta'kan behelfen. Ul'ia! Das klang ganz gut. Jedenfalls besser als…
    »Clay.« Ihre Geste imitierend, klopfte er sich kurz auf die Brust.
    Nun, da sie einander vorgestellt waren, stellte sich ein Gefühl der Vertrautheit ein. Immerhin hatte jeder von ihnen dem anderen ein neues Leben geschenkt.
    »Die Tote… war deine Freundin?«
    Clay wirbelte herum, so heftig, dass er sich fast den Hals verrenkte. Die knarzigen Worte klangen, als ob jemand Scherben verschluckt hätte, doch sie kamen tatsächlich aus ihrem Mund.
    »Du kannst reden?« Er lief rot an, als er merkte, wie unsinnig diese Frage klang, und verbesserte sich: »In der gleichen Sprache wie mein Volk, meine ich.«
    »Ja, aber nicht viel.« Die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen. »Ich lerne. Jeden Zyklus ein wenig mehr.«
    Clay fühlte Scham in sich aufsteigen. Sie sprach wie ein Mensch! Wie hatte er die Fishmanta'kan nur für Monster halten können? Ein feuchter Film, der seine Pupillen bedeckte, ließ die Umwelt verschwimmen.
    Mitfühlend langte sie nach seiner Schulter. »Ich gewusst… deine Freundin.« Sie dachte wohl, er würde wegen Piar weinen. Und eigentlich tat er das auch.
    »Warum hat uns dein Volk geholfen?«, fragte Clay, um kein peinliches Schweigen aufkommen zu lassen. »Die Türme von Sisco sind eure Domäne. Wir sind hier ungefragt eingedrungen.«
    Die Schuppen auf seiner Haut fühlten sich rau, aber doch weich und anschmiegsam an.
    »Ihr auf der Flucht«, klackte sie. »Seid friedlich, nicht wie Barbaren auf große Springtiere.«
    »Sie heißen Steppenreiter«, erklärte er, »und sitzen auf Frekkeuschen.«
    Ul'ia nickte eifrig, als wollte sie die neuen Vokabeln sofort ihrem Wortschatz hinzufügen.
    »Unser OBERSTER sagt, ihr könnt in Türmen bleiben.« Ihre unförmige Hand entfernte sich keinen Fingerbreit von seiner Schulter, aber das störte ihn nicht. »Dort ist dein Stamm sicher. Und wenn ihr wollt – wir helfen euch im Wasser, und ihr uns an Land!«
    Plötzlich beugte sie sich zu Clay herüber. Er spürte den Druck ihrer Brüste, als sie sich an ihn schmiegte. Sanft und fordernd zugleich.
    Vielleicht lag es an der kaschierenden Dunkelheit, dass er plötzlich vergaß, was sie war.
    Oder er sah schon damals in ihr das sanfte Wesen, das sich unter den blauen Schuppen versteckte. Jedenfalls erwiderte er die Berührung und ließ seine Fingerkuppen über ihren geschwungenen Leib wandern.
    »Ein friedvolles Leben ohne Angst«, flüsterte er, sein Gesicht dicht an ihrem. »Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein.«
    Ein letztes Blinzeln, bevor sie sich ganze nahe kamen, dann trafen sich ihre Lippen zu einem ersten scheuen Kuss…
    Clay schrak schweißgebadet in die Höhe. Nicht wegen des Traumes, der ihn an sein erstes Gespräch mit Ul'ia erinnert hatte, sondern weil es unerträglich heiß geworden war.
    Sein Instinkt warnte ihn davor, dass sich etwas Gefährliches zusammenbraute! Noch während er die letzten Bildfetzen abschüttelte, hörte er pfeifende Geräusche, die ihn von allen Seiten umgaben. Die Dunkelheit schien in Bewegung geraten zu sein, denn Clay spürte einen leichten Windzug auf seiner schweißnassen Haut.
    »Licht!«, forderte er, bereute die Entscheidung aber sofort wieder, als sich umherpeitschende Tentakel im Schein der aufglimmenden Leuchtsteine abzeichneten.
    Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre er im Magen eines gefräßigen Wals gelandet.
    Die Korallenstruktur des kugelförmigen Schlafzimmers war zu einer glibbernden Masse verquollen, die einem eitrigen Geschwür ähnelte. Zäher Schleim tropfte von der Decke oder floss in dicken Schlieren über bebende Wände, die sich Clay entgegen wölbten.
    Auf der Oberfläche platzen immer wieder Beulen auf, aus denen neue Tentakel hervorschossen.
    Clay war gelähmt vor Schreck. Erst als ein Tentakel das Seegraslaken traf, gewann er die Kontrolle über seinen Körper zurück. Blitzschnell wälzte er sich zur Seite und fiel, unter zwei zuschnappenden

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