059 - Das Experiment
klaren Gedanken verdrängte, schwoll auch das Raunen an, das die Höhle erfüllte. Es wurde lauter und lauter, bis der Mendrit erstmals einzelne Stimmen auszumachen glaubte. Was sie ihm zuriefen, konnte er weiterhin nicht verstehen, doch es waren Schreie voller Pein, daran bestand kein Zweifel.
»Hab ich dich endlich, du verdammter Seeteufel!« Rayy packte ihn mit hartem Griff am Hals. Daumen und Finger gruben sich wie ein zuschnappendes Fangeisen in die graue Haut.
Topi'ko röchelte, während er brutal nach vorn gezerrt wurde. Gerne hätte er sich mit seinen Händen zur Wehr gesetzt, doch Ko'chi und die anderen klammerten sich weiter an ihm fest. Nicht weil sie Topi'ko vor den Schlägen des Barbaren schützen wollten, sondern weil sie nicht anders konnten. Das Raunen in ihren Köpfen war wie eine Sucht, der sie nicht entsagen wollten.
»Komm endlich her!« Rayys Stimme schwoll zu einem schrillen Kreischen an, während er den Würgegriff verstärkte, um den Jungen aus der Mitte der Mendriten zu lösen.
Topi'kos Atem stockte. Nackte Angst, die durch seine Adern pulsierte, durchflutete den Verstand. Der dunkle Kanon brachte den ganzen Körper zum Vibrieren. Glühend heiße Wellen jagten von der Schädeldecke aus hinab bis in die Zehenspitzen. Es war wie ein Fieber, dessen Wallungen sich immer stärker auf den rechten Oberarm konzentrierten.
Topi'ko verdrehte die Augen, um die Ursache des Brennens ausfindig zu machen. Entsetzt starrte er auf seinen dreifach um den Bizeps laufenden Armreif, der sich aus unerklärlichen Gründen immer enger zusammenzog.
Klatschende Geräusche erklangen.
»Lasst los, ihr kleinen Monster!« Rayy teilte nach links und rechts aus, um Topi'ko aus dem Pulk zu lösen. Ko'chis Gesicht wurde zur Seite gewirbelt. Ihre Wange färbte sich rot.
Trotzdem ließ sie nicht locker.
Die anfeuernden Rufe der Barbaren bekamen einen höhnischen Unterton, der Rayy geradezu rasend machte. Wie besessen schlug er auf die Mendriten ein.
Topi'ko registrierte die Ohrfeigen, ohne den Schmerz wirklich zu spüren. Sämtliche Sinne waren nur noch auf das unheimliche Geschehen an seinem Oberarm gerichtet. Der schmale Armreif, der eben noch tief in sein Fleisch geschnitten hatte, sprang plötzlich auseinander. Die um seinen Arm geschlungene Form entfaltete sich und veränderte dabei ihre Struktur. An den Seiten des verbogenen Strangs entstanden tentakelförmige Knospen, die explosionsartig in die Lange wuchsen.
Die Metamorphose dauerte nicht länger als ein Zwinkern mit den Augenlidern. Selbst Rayy bemerkte sie erst, als die fünf Enden zurückklappten und sich von Topi'kos Bizeps abstießen. Blitzschnell überwand der verbogene Armreif die Distanz zu dem Barbaren und schlang sich um dessen Hals.
Rayys überraschter Ausruf endete in einem gequälten Gurgeln.
Er ließ von den Mendriten ab, um seine Finger unter die würgenden Stränge zu schieben, doch es war zu spät. Sie schnitten bereits so tief ein, dass die angrenzende Haut über sie hinweg quoll. Hilflos stolperte Rayy zurück und brach in die Knie. Sein Brustkorb schüttelte sich wie unter Krämpfen. Blut quoll unter den zusammengezogenen Strängen hervor, doch über seine Lippen drang nicht der geringste Laut.
Die Anfeuerungsrufe der Barbaren erstarben von einem Herzschlag auf den anderen.
Mit weit aufgerissenem Mund starrten alle auf den Clanbruder, der sich plötzlich wie von Sinnen gebärdete. Niemand hatte richtig sehen können, was geschehen war, und so brauchten sie eine Weile, um sich von der Überraschung zu erholen.
Topi'ko mochte kaum glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte. Im gleichen Maße, wie sein Verstand das Gesehene zu verarbeiten suchte, ließ auch das Raunen in seinem Schädel nach. Zurück blieb nur die schreckliche Erinnerung an den Moment der Metamorphose, in dem der Klagechor plötzlich zu einem begeisterten Aufschrei geworden war.
Was hatte das zu bedeuten?
Endlich fand er die Kraft, sich mit einem harten Ruck aus den Händen der übrigen Mendriten zu befreien. Der Kreis wurde unterbrochen, das Wispern in seinem Kopf erstarb.
Topi'kos Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Takt. Er pumpte Luft in seine Lungen, wie ein Schwimmer, der kurz vor dem Tauchgang steht. Dann tat er das einzig Ve rnünftige in seiner Situation.
Er nutzte die allgemeine Schrecksekunde und rannte davon.
Mit drei schnellen Sprüngen setzte er an Rayy vorbei und strebte einem Felseinschnitt zu, der rechts von ihnen in einen schmalen Gang
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