059 - Der Folterknecht
du als einziger aus diesem Haus auf die Straße gelaufen bist, um dem Großinquisitor die Ehre zu erweisen. Wo sind deine Mädchen und die Knechte? Und warum kam deine Frau nicht herunter?“
„Das Gesinde ist bei der Arbeit, Euer Gnaden“, antwortete der Wirt eingeschüchtert. „Es sind fleißige Maiden und Burschen. Und meine Frau muß das Bett hüten. Sie fühlt sich nicht wohl.“
„Gestern bei meiner Ankunft schien sie mir noch kerngesund.“
„Es überfiel sie über Nacht. Und jetzt ist sie ganz schwach.“ Er bekreuzigte sich. „Aber es kann nicht schlimm sein. Ganz bestimmt kann sie dem Herrn Baron schon am Abend wieder zu Diensten sein.“
Er schien mich falsch verstanden zu haben. Offensichtlich glaubte er, daß ich an seinem Weib Gefallen gefunden hatte.
„Ich gehe jetzt zur Hinrichtung“, sagte ich. „Bei meiner Rückkehr werde ich dann einmal nach deiner Frau sehen.“
„Euer Gnaden sind ein Doktor der Medizin?“ fragte er erneut. „Wenn Ihr das tun wollt, dann …“
Ich brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und schickte mich an, die Gaststube zu verlassen. Da tauchte unvermittelt in der Hintertür eine schaurige Gestalt auf. Sie stand im Halbdunkel, so daß ich nicht viel Einzelheiten erkennen konnte, aber ich sah, daß es sich um einen verwachsenen Mann mit einem Buckel, krummen Beinen und einem völlig entstellten Gesicht handelte.
Der Wirt stürzte schimpfend auf ihn zu, schlug ihn und wies ihn zurecht, daß er in der Gaststube nichts zu suchen habe.
Ich trat auf die Straße. Dort wurde ich von meinem Diener Eustache erwartet.
Eustache war ein gutaussehender Bursche, auf den die Mädchen flogen. Ich hatte ihm Manieren beigebracht, und nun diente er mir schon seit fünf Jahren zu meiner vollsten Zufriedenheit. Er war ein richtiger Haudegen, im Sattel so sicher wie im Bett, im Zweikampf so überlegen wie im Wortgefecht. Während er mich zum Marktplatz begleitete, erzählte er mir von dem häßlichen Knecht, der die Pferde betreute.
„Ich habe noch kein schrecklicheres Scheusal in Menschengestalt gesehen“, sagte er schaudernd. „Aber er scheint etwas von Tieren zu verstehen, und die Pferde mögen ihn.
Deshalb beließ ich unsere Pferde in seiner Obhut. Ist das recht, Herr?“
„Du solltest den Knecht nicht beurteilen, bevor du mehr über ihn weißt, Eustache“, belehrte ich ihn. „Manchmal ist es mit den Menschen so wie mit den Früchten: Hinter einer häßlichen Schale kann sich ein guter Kern verbergen.“
„Das werde ich mir merken, Herr“, sagte er ohne rechte Überzeugung. „Aber muß ich diese Weisheit auch bei der Wahl meiner Liebschaften anwenden?“
Ich mußte lachen.
Auf dem Marktplatz herrschte ein unbeschreibliches Gedränge. In der Mitte, unweit des Brunnens, war ein Scheiterhaufen errichtet worden. Die Soldaten hatten alle Mühe, den Hinrichtungsplatz gegen die drängende Meute abzuschirmen. Im Hintergrund sah ich eine überdachte Loge, in der die kirchlichen Würdenträger, der Bürgermeister, die Honoratioren und Adelige Platz genommen hatten. In ihrer Mitte befand sich ein Mann mittleren Alters, mit einem scharfgeschnittenen Gesicht und einer Geiernase. Seine durchdringenden Blicke wanderten über den Marktplatz. Man hatte unwillkürlich das Gefühl, daß diesen Augen nichts entging, daß ihr Blick bis in die tiefste Seele eines Menschen dringen und jeden Dämon entlarven konnte.
Das mußte Jakob Sprenger sein.
Ein unbeschreibliches Gejohle erscholl, als der Wagen mit den beiden abgeurteilten Hexen von einem Ochsen auf den Marktplatz gezogen wurde.
Ich hatte bisher noch nie einem Hexenprozeß oder einer Hinrichtung bei gewohnt, weil ich so etwas abscheulich fand, doch nach meinem Erlebnis auf dem Eulenberg hatte ich meine Ansicht geändert. Ich konnte es kaum noch erwarten, die Hexen brennen zu sehen.
Fäuste reckten sich den beiden verschmutzten Weibern auf dem Karren entgegen. Die Menge bespuckte sie, warf mit Steinen nach ihnen. Die eine Hexe begann in höchsten Tönen zu schreien, als die Henkersknechte sie vom Wagen holten und mit ihrer Kumpanin an den Brandpfahl banden. Sie schrie auch während der Urteilsverlesung ohne Unterlaß weiter, die andere flehte den Heiland um Gnade an. Aber dieser konnte ihr keine Gnade erweisen, denn aus dem Urteil ging klar hervor, daß sie ein umfassendes Geständnis abgelegt und bekannt hatte – aus Neid und Habsucht, und weil der Teufel es ihr befohlen – drei Kühe einer anderen Bäuerin
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