059 - Der Folterknecht
er.
Diesmal konnte ich ihn verstehen, oder zumindest die Bedeutung seiner Worte erkennen, obwohl er manche Buchstaben einfach verschluckte.
„Ich habe die Pferde in gesundem Zustand in deine Obhut übergeben“, sagte ich zu dem Verwachsenen. „Was hast du mit ihnen angestellt?“
Er blickte mit seinem gesunden Auge hilfesuchend den Wirt an, dann quoll ein Tränenstrom daraus hervor, und er fiel vor mir auf den Boden.
„Ich hab’ nichts getan, Euer Gnaden“, beteuerte er weinerlich. „Ich hab’ Pferde gut gepflegt, zu essen gegeben und zu trinken. Pferde mögen mich. Ich liebe Tiere, liebe Tiere mehr als alles, weil sie die aufrichtigsten Kreaturen Gottes sind. Ich könnte einem Tier nichts antun, Euer Gnaden.“
Je länger er sprach, desto schneller und unverständlicher redete er. Aber ich erfuhr genug, um zu der Meinung zu kommen, daß er es ehrlich meinte.
„Hast du jemanden in den Stall kommen sehen?“ fragte ich ihn. „Oder hast du sonst etwas Verdächtiges bemerkt?“
Er schüttelte den Kopf, wobei sein verwachsener Oberkörper die Bewegung mitmachte.
„Keinen Fremden, Euer Gnaden“, versicherte er. „Keinen Fremden oder Verdächtigen, Euer Gnaden. Nur in aller Frühe, als alle anderen noch schliefen und die Schankstube zu war, da traf ich die ehrsame Witwe Mengerdorf, die – wie sagte sie? sich Bewegung verschaffte.“
„Die Witwe Mengerdorf’?“ wiederholte ich. „Was hatte sie im Stall zu suchen?“
„Nicht im Stall“, beteuerte Equinus kopfschüttelnd. „Vorbeigegangen ist sie. Und sie hat versucht, ins Haus zu kommen, doch alles war verschlossen, auch die Schankstube. Eine freundliche Frau, Euer Gnaden.“
Ich ließ von Equinus ab und ging auf mein Zimmer, wo ich sofort das Fenster öffnete und Knoblauchbündel an den Rahmen hing, die ich mir vorher auf dem Markt beschaffte. Es war kalt im Zimmer, aber ich schloß das Fenster nicht, denn unter mir lag das Zimmer der Wirtsleute. Wenn es sein mußte, wollte ich die ganze Nacht über wachen, um zu erfahren, was hier vorging. Meinem Kutscher hatte ich befohlen, die Nacht bei den Pferden zuzubringen. Eustache trieb sich irgendwo in der Stadt herum und hatte nichts mehr von sich hören lassen, seit ich ihn weggeschickt hatte.
In dieser Nacht ereignete sich nichts, und als Mitternacht vorbei war, schloß ich das Fenster und begab mich zu Bett. Ich träumte von Equinus, der Pferde lieber mochte als Menschen.
Am nächsten Morgen war die Wirtin tot. Der Wirt machte seine Gaststube nicht auf, und ich mußte woanders essen gehen. Er wich den ganzen Tag keinen Augenblick vom Totenbett seiner Frau und schlug eines der Mädchen, als sie ihn störte, um ihm die Ankunft eines Gastes zu melden.
Die Mädchen begannen sich vor dem Wirt zu fürchten, und Brunhilde vertraute mir an, daß sie in jener Nacht, in der die Wirtin von dieser unheimlichen Krankheit befallen wurde, Poltergeräusche im Haus gehört hätte, durch die sie aufgewacht wäre. Als sie aus dem Fenster blickte, hätte sie geglaubt, eine Frau in einem pelzverbrämten Kapuzenmantel über den Hof schweben zu sehen.
Ich nahm mir Equinus noch einmal vor und erfuhr von ihm, daß auch die Witwe Mengerdorf an dem fraglichen Morgen einen solchen Mantel getragen hatte, wie ihn mir das Mädchen beschrieb.
Es war nur seltsam, daß die Witwe anders gekleidet war, als ich sie beim Frühstück in der Gaststube traf. Das war ein Grund, warum ich die Erzählung des Mädchens Brunhilde und vom Knecht Equinus nicht vorbehaltlos glauben wollte.
Die Wirtin sollte noch an diesem Abend begraben werden. Der Totengräber und seine drei Helfer mußten Hans Stiecher mit Gewalt von der Leiche losreißen. Und als der Wirt hörte, daß das Begräbnis deshalb so schnell vorgenommen werden sollte, weil man glaubte, seine Frau hätte die Pest gehabt, ging er mit dem Messer auf die Männer los. Zum Glück tauchte just in diesem Augenblick Eustache auf und konnte ein Unglück verhindern, indem er den Wirt niederschlug.
Ich brachte Eustache auf mein Zimmer, und bei einem Krug Wein berichtete er mir, was ihm in der Stadt an mysteriösen Geschichten zu Ohren gekommen war.
Alle Leute waren sich einig, daß das Hexenunwesen in Konstanz immer ärgere Formen annahm, und es höchste Zeit wurde, daß etwas geschah. Man getraute sich des Nachts nicht mehr in die Nähe der Friedhöfe und vermied es nach Möglichkeit, das Haus zu verlassen. Viele Bewohner der Stadt wurden verdächtigt, mit dem Teufel im Bunde zu
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