0590 - Ritter Tod
folgenden Geräuschen war zu entnehmen, dass der Unbekannte mit einem Stuhl über den Boden rutschte, dann raschelte etwas, als würde der Mann noch ein Kleidungsstück überstreifen, und sofort danach vernahm ich seine Schritte, die sich genau in meine Richtung bewegten.
Ich schaute in das Dämmerlicht hinein. Allmählich nur schälte sich aus dem finsteren Grau eine Gestalt hervor. Der Doktor dachte nicht daran, das Licht einzuschalten oder die schweren Vorhänge von den Fenstern zu ziehen.
Allmählich konnte ich ihn besser erkennen. Er war etwas kleiner als ich, von seinem Gesicht sah ich nicht viel, da der größte Teil von dunklen Bartschatten beherrscht wurde, wie mir schien.
Er ging etwas gebeugt, blieb einen Schritt vor mir stehen und schaute zu mir hoch. Lächelte er? Funkelten seine Augen?
So genau erkannte ich es nicht. Dafür sah ich, wie er mir die Hand entgegenstreckte. »Mr. Sinclair«, sagte er, »so heißen Sie doch, nicht wahr, Sir?«
»Stimmt.«
»Ich heiße Sie herzlich in meinem bescheidenen Hause willkommen.«
Sein Akzent sagte mir, dass er nicht zu meinen Landsleuten gehörte. Er hatte einen kalifornischen Dialekt. Dieser mir namentlich noch unbekannte Arzt musste ein Amerikaner sein.
Ich nahm die Hand, die er leicht drückte. »Darf ich fragen, wie Sie heißen, Doktor?«
»Ja, sicher. Ich heiße Franklin. Dr. Justus Franklin.«
»Beleidigt es Sie, wenn ich sage, dass ich den Namen noch nie zuvor gehört habe?«
»Nein, keinesfalls, Mr. Sinclair. Das ist doch keine Beleidigung, nicht einmal eine Bildungslücke.« Er lachte dabei, ließ meine Hand nicht los und sagte nur: »Le Grand, bitte.«
Die Worte wirkten auf mich wie eine Warnung. Ich wollte herumfahren, meine Hand aus der des Arztes ziehen, aber die war plötzlich zu einer Klammer geworden. Ich schaffte es nicht, mich loszureißen.
Hinter mir grunzte der Henker und schlug zu. Es war ein Hieb, der mich irgendwo am Kopf traf. So scharf und hart, dass er mich glatt von den Beinen haute. Für mich ging die Welt zunächst einmal unter…
***
Obwohl ich die Augen offen hielt, sah ich nur noch die graue, sich bewegende Masse. Wo sie ihren Ursprung hatte, war für mich nicht zu erkennen, jedenfalls in irgendeiner unauslotbaren Tiefe, aus der sie hoch kroch und mich überschwemmen wollte.
Ich hielt den Mund auf, die Bewegungen des Kiefers konnte ich spüren, dann kam die Welle. Ihr Wasser, eiskalt, fast schon schmerzhaft, klatschte in mein Gesicht.
Was ich kaum für möglich gehalten hatte, geschah. Das Wasser schwemmte die graue, dumpfe Masse zur Seite, sie klärte mein Blickfeld, in das sich langsam etwas hineinschob.
Zwei runde Gegenstände, übergroß, dunkel, zitternd und angsteinflößend. Ich schloss die Augen, weil ich nicht mehr hinschauen konnte. Darauf hatte ein anderer nur gewartet. Finger krallten sich in mein Haar und bogen den Kopf zurück.
»Hier wird nicht geschlafen!« fuhr mich die Stimme an. »Hier bestimmen wir!«
Die Hand ließ mein Haar nicht los. Sie wühlte noch kräftiger, noch intensiver und zerrte meinen Kopf nach hinten. Ich wollte es nicht, konnte jedoch nicht anders und stieß einen ächzenden Schmerzenslaut aus.
Ein leises Lachen erklang. »Soll ich weitermachen?« fragte die Stimme nach dem Lachen.
Ich überlegte krampfhaft, wo ich den Sprecher schon gehört hatte, aber es fiel mir nicht ein. Zu meinem engeren Bekanntenkreis jedenfalls gehörte er nicht.
Ich tat ihm den Gefallen und öffnete die Augen. Der Sprecher hatte rechts neben mir gestanden und mich beobachtet. »Es hat doch etwas geholfen«, sagte er.
Diesmal sah ich auch sein Gesicht Nein, es war nicht Dr. Franklin, sondern der Mann, der mich hergeführt hatte, der Henker mit dem Namen Le Grand.
Mein Kopf schmerzte, vor allen Dingen an der Rückseite. Dort hatte mich der Hieb getroffen. Mochte der Teufel wissen, womit dieser Hundesohn zugeschlagen hatte. Wahrscheinlich mit der Handkante.
»Lass ihn!«
Die Stimme erreichte mich von vorn. Als ich hinschaute, schälte sich die Gestalt des Arztes hervor. Dr. Justus Franklin! Jetzt stand er nicht mehr im Dunkeln, denn er hatte eine auf dem Schreibtisch stehende Lampe eingeschaltet, deren Strahl trichterförmig gegen seinen Rücken leuchtete und an ihm vorbeiglitt, so dass ich ihn gut erkennen konnte.
Mir fiel wieder das Bild ein, das ich beim ersten Aufwachen gesehen hatte. Die beiden Kreise, das Dunkel darin. Jetzt wusste ich auch, was ich gesehen hatte. Franklins Gesicht! Die
Weitere Kostenlose Bücher