0590 - Ritter Tod
wurden groß, als ich die Rüstung sah, die dort für mich stand. Eine Rüstung, ein Schwert, ein Schild, selbst den Helm hatte man nicht vergessen.
»Alles gehört dir, Ritter Tod!« erklärte Dr. Franklin mir. »Geh hin und lege die Rüstung an!«
Das tat ich. Ich ließ meine übrige Kleidung an, was keine Schwierigkeiten beim Anlegen der Rüstung machte. Dabei wunderte ich mich, wie leicht es mir gelang, das eiserne ›Kleid‹ anzulegen. Zudem half mir Dr. Franklin dabei. Sogar den Helm setzte ich auf, klappte das Visier allerdings in die Höhe, weil ich sehen wollte, wohin ich ging.
Zum Schluß legte ich meine Waffen an. Ich nahm das schwere Schwert und den Schild und ging die ersten Schritte mit der Rüstung spazieren. Es war nicht einfach. Als John Sinclair wäre ich bestimmt gefallen, nicht als Ritter Tod. Er wusste, wie man sich in einer Rüstung zu bewegen hatte, und konnte in ihr gehen.
Weit führte mich Dr. Franklin nicht. Er öffnete eine schmale Tür, so dass ich einen Stall betreten konnte. Da stand das Pferd!
Ein starkknochiger Brauner, der ein schweres Gewicht tragen konnte. Die Decke hing weit unter dem Sattel hervor, das Tier schnaufte, scharrte unruhig mit den Hufen. Man hatte es an einem aus der Wand ragenden Eisenring festgebunden.
»Steig auf, Ritter Tod!«
Den Befehl hätte man mir nicht zu geben brauchen. Das Tier wusste genau, wie es sich zu verhalten hatte. Es rührte sich nicht, als Le Grand einen Tritt an seine Seite stellte, so dass ich in meiner sperrigen und unbequemen Rüstung aufsitzen konnte.
Ich fasste nach den Zügeln. Meine Hände steckten in Handschuhen, die jedoch mit eisernen Stulpen versehen waren, damit meine unteren Armgelenke geschützt wurden.
Ich hielt die Zügel noch stramm. Von unten her schaute Franklin mich an. »Wunderbar!« flüsterte er. »Die Vergangenheit lebt, Ritter Tod ist wieder unterwegs. Es gibt den Geist des Polizisten John Sinclair nicht mehr in seinem Körper. Der Austausch ist perfekt durchgeführt worden. Du bist jetzt ein anderer, du bist der Knight of Gorman. Ich, Dr. Franklin, verneige mich sogar vor dir.«
Er lachte dabei auf und schritt rückwärts, weil er die Stalltür öffnen wollte. Sie kratzte über den Boden. Helles Sonnenlicht flutete in den Stall und vertrieb die Düsternis.
Ich ritt an. Ohne dass ich ihm einen Blick zugeworfen hätte, passierte ich den Erfinder der Mind-Maschine.
Sekunden später hatte ich den Stall verlassen. Nun war eingetreten, was Dr. Franklin hatte erreichen wollen. Ritter Tod war unterwegs.
***
Napoleon hatte auch auf der Fahrt seine Haltung nicht verändert.
Er hockte steif neben Suko, blickte mit starren Augen durch die Scheibe, gab nur hin und wieder knappe Anweisungen, wie Suko seinen BMW zu fahren hatte. Ansonsten hielt er sich vornehm zurück und versuchte, in seinem Verhalten dem großen Vorbild Napoleon nachzueifern. So etwas war eigentlich zum Lachen, etwas für einen Witzfilm, doch Suko wusste durch den Henker Le Grand, dass daraus tödlicher Ernst werden konnte.
Die City of London lag hinter ihnen. Sie rollten durch keine von der Sonne aufgeheizten Häuserschluchten mehr. Es war ländlich geworden. Wiesen, Felder, hin und wieder ein Stück Wald, das sich von der grünen Fläche wie eine Insel abhob.
Kleine Orte mit wenig Verkehr. Über allem lag der blaue Sommerhimmel, manchmal von langen Wolkenstreifen bedeckt.
In dieser Umgebung versteckten sich auch die Herrenhäuser auf parkartigen Grundstücken, beschattet von den mächtigen Kronen alter Bäume.
Suko hatte bemerkt, dass sein Beifahrer unruhig geworden war.
Er schaute des öfteren aus dem Fenster, nickte vor sich hin, als wollte er sich selbst bestätigen, und fuhr sich einige Male mit der flachen Hand über Stirn und Wangen.
»Wie weit ist es noch?«
Napoleon hob die Schultern. »Nicht mehr lange. Wir können sogar auf der Straße bleiben.«
»Das ist gut.«
Lange Hecken säumten die Fahrbahn. Sie passierten ein Gehöft und überholten einen Traktor, auf dem ein noch sehr junger Fahrer hockte. Der Weg beschrieb eine Rechtskurve, in die Suko den BMW mit normaler Geschwindigkeit hineinlenkte. Hinter der Kurve öffnete sich ihnen der Blick. Suko sah auf der anderen Seite und noch relativ weit entfernt die Mauern eines Hauses, die auch von den Bäumen nicht völlig verdeckt werden konnten.
»Das ist es«, sagte Napoleon. Der Anblick des Hauses hatte ihn verändert. Er saß nicht mehr so still, bewegte seine Hände über den
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