0591 - Engel der Geister
Wälder, durch die ich nach meinen Raubzügen ritt. Dort waren mir ähnliche Tiere begegnet, wobei ich die meisten von ihnen getötet hatte.
Das Tier hier lebte – und knurrte mich an.
Es hatte sein Maul weit geöffnet. Die Zunge schlug in gewissen Abständen hervor. In dem offenen Helm bewegte ich den Kopf und schaute das Tier direkt an. Unsere Blicke trafen sich.
Da spürte es meine Kraft. Ich sah, wie es rückwärts ging und mich dabei im Auge behielt. Ich schaute über den Wolf hinweg.
Zwei Menschen standen an ihrem Haus. Sie hielten sich an den Händen und sahen mich an.
Ich spürte etwas!
Waren sie fremd? Nein, ich hätte sie eigentlich kennen müssen, aber ich hatte sie nie gesehen – oder?
Etwas in meinem Kopf wuchs zu einem gewaltigen Sturm heran, der mich völlig durcheinander brachte. Ich war hier, man hatte mich geleitet und gleichzeitig irritiert.
Was war denn nun geschehen? Und wo steckte der Junge? Dass er hier sein musste, war mir klar, nur konnte ich ihn nicht sehen.
Wahrscheinlich hatte er sich versteckt.
Ich wollte ihn haben und trieb mein Pferd wieder an. Der Druck war hart. Mit den Hufen riss es ein Stück des Zaunes entzwei, dann hatte ich endlich freie Bahn…
***
Zielen, schießen und treffen.
Das sind drei verschiedene Dinge. Für Könner und Kenner verwischen sie dermaßen, dass sie oft zu einer fließenden Bewegung werden. Bei Suko war es der Fall, nicht bei Dr. Franklin.
Wahrscheinlich hatte er in seinem Leben zu wenig geschossen, und wenn, dann möglicherweise nur auf ein Ziel, das ruhig vor ihm stand oder lag. Bei Suko war es etwas anderes.
In das Mündungsfeuer zu schauen und sich zur Seite zu hechten gehörte zusammen. Ein Mensch kann nicht schneller sein als eine Kugel. Das Silbergeschoss hätte ihn sicherlich auch erwischt, wenn Dr. Franklin ein guter Schütze gewesen wäre, aber das war er nicht.
Das Geschoss verfehlte Suko. Es sirrte vorbei und klatschte hinter ihm in die Wand.
Franklin brüllte wütend und enttäuscht auf, denn Suko war aus seinem Blickfeld verschwunden, lag am Boden, drückte sich zurück und stieß die Beine gleichzeitig vor.
Mit den Füßen erwischte er den Schreibtisch. Das hatte er so gewollt. Schwer war er nicht. Er geriet in Bewegung und rutschte auf Dr. Franklin zu.
Der wollte noch zur Seite ausweichen, was ihm aber nicht gelang.
Der Schreibtisch erwischte ihn hart an der Hüfte. Er gab einen wütenden Schrei ab. Der Treffer hatte ihn um die eigene Achse gewirbelt. Die Beretta hielt er fest und suchte ein neues Ziel.
So schnell wie Suko konnte er nicht reagieren. Der Arzt sah den hochwachsenden Schatten, als sich der Inspektor vom Boden aus in die Höhe katapultierte. Er bekam noch mit, wie etwas aus dem Schatten herauswuchs.
Er schwenkte seinen Arm.
Der Karatetritt erwischte ihn zwischen Hals und Schulter. Franklin ächzte auf. Plötzlich dachte er nicht mehr an seine Waffe. Nur den bösen Schmerz merkte er, der seine rechte Seite brennen ließ wie Feuer. Die Gestalt des Chinesen verwischte vor seinen Augen.
So sehr er sich auch anstrengte, er bekam sich selbst und sein Umfeld nicht mehr in den Griff.
Franklin taumelte, als hätte er zuviel getrunken. Er ging mal nach rechts, dann wieder nach links. Der gesamte Raum kam ihm vor wie eine schwankende, graue Insel.
Suko hatte leichtes Spiel. Dr. Franklin merkte gar nicht, wie ihm die Pistole aus den Fingern gedreht wurde. Suko nahm sie an sich und steckte sie ein.
Dann packte er den Mann, wirbelte ihn herum und stieß ihn von sich. Franklin rechnete damit, zu Boden zu fallen, doch Suko hatte gut gezielt und ihn in den Sessel geschleudert, der zum Schreibtisch gehörte. Das Stahlrohrmöbel wippte, es kippte nicht, so dass Dr. Franklin darin hocken blieb.
Die Lampe war wie durch einen glücklichen Zufall noch auf der Schreibtischplatte stehen geblieben, am Rand zwar, aber sie brannte weiter, und Suko stellte sie so hin, dass wenigstens der Großteil des Scheins über die Gestalt des Doktors fallen konnte.
Der gute Franklin sah ziemlich bescheiden aus. Von seiner Arroganz, von seiner kalten Überheblichkeit und von seinem Zynismus war so gut wie nichts mehr vorhanden.
»Reicht es?« fragte Suko.
»Was?«
»Wollen Sie noch einmal schießen, Franklin? Das war ein bewaffneter Angriff auf einen Polizeibeamten, ein Mordversuch, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Franklin umklammerte seine Schulter und bewegte die Fingerkuppen, als wollte er die getroffene Stelle besonders
Weitere Kostenlose Bücher