0593 - Das Zeichen
ebenfalls grauschwarze Haar. Es war seitlich seines Kopfes zu lockigen Strähnen gedreht, die mit ihren Enden fast die Schultern erreichten. Auf dem Hinterkopf saß die kleine Mütze, ein flaches Käppi, wie es die Juden oft trugen. Ja, es war genau der Mann wie auf dem Bild. Seine Augen schimmerten dunkel und sehr wachsam, als er sich hinter dem mächtigen Schreibtisch erhob, auf dem mehrere in Leder gebundene Bücher lagen, Schreibgerät und auch ein dunkles Telefon stand.
Er reichte mir die Hand. »Ich freue mich, Mr. Sinclair, daß Sir James Sie geschickt hat.«
Er ließ meine Hand nicht los. Die Begrüßung war ehrlich und herzlich gemeint.
»Die Freude ist auf meiner Seite, Rabbi. Ich bin immer dafür, interessante Menschen kennenzulernen.«
Er ließ meine Hand los und winkte ab. »Ob ich so interessant bin, weiß ich nicht. Man soll sich davor hüten, sich selbst zu überschätzen.«
»Da haben Sie recht.«
»Aber nehmen Sie doch Platz.«
Ich setzte mich auf einen dunklen Stuhl mit hoher Lehne, der ein Sitzpolster aus Leder besaß. »Aber Sie sind Rabbiner und üben einen dementsprechenden Einfluß aus.«
»Das stimmt allerdings.«
Die Frau brachte uns etwas zum Trinken. Kohlensäurefreies Wasser, wie es auch Sir James trank. Ich war trotzdem dankbar, denn ich hatte Durst bekommen.
In der Tat konnte man die Rabbiner als eine Macht innerhalb der jüdischen Gemeinden bezeichnen. Ursprünglich einmal waren sie als Lehrer der geheimen Mysterien, der Kabbala, angesehen worden.
Später wurde jeder Levite der Priesterkaste Lehrer und damit Rabbiner.
Er nahm sein Glas und hob es an. »Ich möchte auf Sie und unsere Aufgabe trinken und noch einmal betonen, wie sehr ich zufrieden bin, daß Sie mir hier gegenüber sitzen, Mr. Sinclair, denn unsere Aufgabe wird nicht einfach sein.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Ich nahm einen Schluck Wasser.
Hinter uns verschwand die Frau. Sie schloß die Tür sehr leise. Auch der Rabbi hatte nicht laut gesprochen, war aber trotzdem gut zu verstehen gewesen. Ich stellte das Glas weg und schaute ihn auffordernd an. Noch berichtete ich nicht vom meinem Erlebnis mit dem feinstofflichen Wesen.
Der Rabbi hatte seinen Rücken fest gegen die Stuhllehne gepreßt.
Er wirkte sehr nachdenklich, auch dann, als er seine Stirn in Falten legte und dabei lächelte. »Mr. Sinclair, ich kann mir bei Ihnen sicher sein, daß die Gespräche, die wir führen, unter uns bleiben, nicht wahr?«
»Natürlich.«
»Dann ist es gut.«
»Worum geht es denn?« fragte ich.
Er schaute mich für einen Moment nachdenklich an und wiederholte indirekt meine Frage. »Ja, worum geht es, Mr. Sinclair? Um Dinge, die tief im Mysterium des jüdischen Glaubens verborgen liegen, aber wieder ans Tageslicht getreten sind.«
»Muß ich mich mit den Lehren der Kabbala auseinander setzen?«
»Darauf läuft es im Endeffekt hinaus.«
»Hm«, machte ich und runzelte die Stirn.
Der Rabbi hatte mich genau beobachtet und auch meine Bewegung gesehen. Er lächelte schmal. »Was ist, Mr. Sinclair? Mögen Sie die Kabbala nicht? Kennen Sie sie überhaupt?«
Während er auf meine Antwort wartete, trank er. Danach tupfte er seine Lippen mit einem weißen Tuch ab. Altersmäßig war er schwer einzuschätzen, er konnte sechzig aber auch achtzig Jahre zählen.
Ich wiegte den Kopf. »Ich kenne Auszüge aus der Kabbala, mehr nicht.«
»Die Kabbala ist nicht einfach, sie ist sehr kompliziert, wenn auch logisch, so ungewöhnlich sich das für fremde Ohren anhören mag. Deshalb möchte ich mich bei meinen vorausgehenden Erklärungen kurz fassen und nur über die in diesem Zusammenhang wichtigen Dinge reden.«
»Bitte.«
Der Rabbi trank noch einen Schluck. »Kabbala ist hebräisch und bedeutete soviel wie Überlieferung. Man verstand ursprünglich darunter die nichtmosaischen Bücher als auch die mündlich überlieferte Lehre. Seit dem 12. Jahrhundert ist die Kabbala zu einer jüdischen Geheimlehre, geworden. Es gibt einige Schulen, wo sie gelehrt wird. Man findet in dieser Lehre die Elemente des persisch-mazedonischen Zeitalters, also eingefangen den frühen Orient. In früheren Zeiten war sie eine wohlgeachtete Religionsphilosophie, was sich erst änderte, als die Juden 1492 aus Spanien vertrieben wurden. Da erhielten die kabbalistischen Studien in Palästina und Italien einen neuen Aufschwung, leider einen für mich negativen, denn sie arteten aus in Magie und Buchstabenklauberei. Mehr will ich Ihnen über die Historie nicht
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