0593 - Das Zeichen
will nicht sterben, sein Inneres lehnt sich dagegen auf und sucht nach einer Möglichkeit, den Tod zu umgehen.«
»Gibt es die denn?«
Der Rabbi zögerte etwas. »Ja, die existiert. Aus diesem Grund habe ich Sie zu mir gebeten. Es gibt für meinen Sohn eine Chance, dem Tod zu entrinnen, wenn es ihm gelingt, einen anderen Namen anzunehmen. Das ist die einzige Möglichkeit.«
Ich erwiderte nichts und hütete mich auch vor dem leisesten Lächeln, denn diese Antwort hatte mich mehr als überrascht. Ich konnte es einfach nicht glauben, so einfach war der Tod nicht zu überwinden. »Sie glauben daran, Rabbi, steht es vielleicht in der Kabbala?«
»Ich mußte lange nachdenken, bis ich auf die Lösung kam. Sie rekrutiert sich tatsächlich aus einem Kapitel der alten Geheimlehre. Ich will es Ihnen erklären, Mr. Sinclair, dann werden Sie auch das nötige Verständnis aufbringen. Im Orient, das wissen Sie, ist der Name sehr eng mit dem Wesen eines Menschen verbunden. Wenn Menschen einen bedeutenden Schritt in ihrem Leben unternehmen, sind Sie stets bereit, ihren Namen zu ändern, denn sie wollen auch äußerlich mit ihrer vergangenen Identität Schluß machen. So ist es schon immer gewesen. Denken Sie an Saulus, aus dem ein Paulus wurde. Der Jünger Simon erhielt infolge seiner Berufung zum Felsen der Kirche den neuen Namen Petrus, gleich Fels. Könige und Päpste nehmen andere Namen an, wenn sie ihre Amtsgeschäfte beginnen. Mönche beim Eintritt ins Kloster. Konvertiten bei oder nach ihrer Taufe. Ich könnte Ihnen da vieles aufzählen. Der Mensch wird etwas Neues, also gebührt ihm auch ein neuer Name, das ist praktisch die Grundlage für unser weiteres Gespräch und Handeln.«
»Jetzt möchte ich nur zu gern wissen, Rabbi, was das mit Ihrem todkranken Sohn zu tun hat.«
»Keine Sorge, Sie werden es gleich erfahren.« Zunächst tupfte er Schweißperlen von der bleichen Stirn des Kranken, dann hob er den Kopf und blickte mich sorgenvoll an. »Auf derselben, nur noch mehr ins Mystische vertieften Gedankengrundlage beruht auch das in der Kabbala erwähnte und uralte magische Rettungsmittel für einen Toten oder Todkranken. Man muß ihm einen neuen Namen geben.«
Ich war mehr als skeptisch. »Dann wird er wieder gesund?« fragte ich verwundert.
»So einfach ist das nicht. Der neue Name muß eine heilsbringende Bedeutung beinhalten.«
Da stand ich nun, schaute den Rabbi an und wußte nicht, was ich sagen sollte. So etwas passiert mir auch selten, in diesem Fall war ich sprachlos.
»Sie sind skeptisch, Mr. Sinclair?«
»Mehr als das.«
»Ich kann es verstehen.« Er nickte sich selbst zu. »Ja, ich kann es verstehen, aber man muß manchmal über seinen eigenen Schatten springen. Von Ihnen hätte ich weniger Skepsis erwartet als von einem normalen Menschen, der mit übersinnlichen und mystischen Dingen nichts zu tun hat.«
»Okay, man lernt ja nie aus. Fassen wir mal zusammen. Sie wollen Ihrem Sohn einen neuen Namen geben.«
»Richtig.«
»Und mich haben Sie kommen lassen, um Ihnen zu helfen? Ist das auch exakt?«
»Sie haben es begriffen.«
»Schon«, gab ich zu. »Nur weiß ich nicht, wie das genau vor sich gehen soll. Soll ich ihn taufen…?«
»Bitte, scherzen Sie nicht«, wehrte er ab. »Ich habe Sie vorhin gefragt, ob Sie Ihr Kreuz bei sich tragen.«
»Das lege ich äußerst selten ab. Und wenn, dann zumeist nicht freiwillig.«
Der Rabbi war zufrieden. »Sie sind ein bekannter Mann, Mr. Sinclair. Ich habe Sie schon vorher namentlich gekannt und einige Ihrer Fälle verfolgt. Ich weiß auch über Ihr Kreuz Bescheid, das unter anderem mit den Insignien der vier Haupterzengel gezeichnet ist.«
»Stimmt genau. Michael, Raphael, Gabriel und Uriel.«
»Das ist der springende Punkt. Mein Sohn sprach während seiner Krankheit von den Erzengeln, die ihm begegnet sind, das hatte ich Ihnen ja gesagt.«
»Stimmt.«
»Nun möchte ich, daß er seinen Namen Nathan verliert und den eines Erzengels annimmt. Wegbereiter wird dabei Ihr Kreuz sein, Mr. Sinclair. Es soll für den Namens- und Wesenswechsel meines Sohnes sorgen. Mehr möchte ich nicht von Ihnen.«
»Das reicht auch schon.«
Der Rabbi hob die Schultern. »Ich weiß, daß es ein Risiko ist. Wenn es nicht klappt, werde ich der letzte sein, über dessen Lippen auch nur ein Wort des Vorwurfs dringt.«
Das wäre noch schöner gewesen. Diesen Satz sprach ich allerdings nicht aus. »Wie haben Sie sich den Vorgang des Wechsels denn vorgestellt, Rabbi?«
»Ich
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