0599 - Die Burg der Schlange
Raum.
Sie trug noch immer das blutrote Gewand von vorhin, doch ihr vormals so einnehmendes, fröhliches Lächeln war zu einer perversen Parodie von Freundlichkeit mutiert.
Ihre gelben Augen mit den gespaltenen Pupillen funkelten im Licht dos Kronleuchters wie Diamanten, als sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und dabei ihre gebogenen Giftzähne entblößte.
Jessica blickte nervös von einer Frau zur anderen, während sie weiter vor Sylvia zurückwich. Die hatte das Badezimmer verlassen und näherte sich ihr langsam, beinahe gemächlich.
Als ob sie genau wüßte, daß das Mädchen ihr nicht entkommen würde.
»Was… Was wollt ihr von mir?« rief Jessica verzweifelt. Tränen schossen ihr in die Augen. »Was habe ich euch getan?«
Keine der Schlangenfrauen antwortete.
Statt dessen sprang Sylvia unvermittelt vor, packte Jessica in die Haare, riß ihren Kopf brutal zurück.
Jessica schrie überrascht auf. Ihre Kopfhaut schien mit einem Mal in Flammen zu stehen.
Doch der Schmerz holte sie unvermittelt aus ihrem lethargischen Zustand in die Realität zurück, führte ihr mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen, daß sie fliehen mußte, daß sie so schnell wie möglich von diesem grauenhaften Ort verschwinden mußte, wenn sie dem Schicksal, das schon Jackson ereilt hatte, entgehen wollte.
Dieser Gedanke genügte, um das Mädchen zu Taten zu treiben.
Mit der Verzweiflung eines Menschen, der nichts zu verlieren hat, warf sie sich zur Seite. Sie ignorierte, daß sie dabei ein paar Büschel ihres rotblonden Haares verlor und stürzte neben dem Himmelbett zu Boden, außerhalb der Reichweite der schwarzhaarigen Schlangenfrau.
Vorerst zumindest…
Sylvia stieß einen wütenden Zischlaut aus. Ihre goldfarbenen, geschlitzten Augen funkelten haßerfüllt.
Voller Wut sprang sie vor, um sich das Mädchen zu schnappen, doch bevor sie Jessica zu fassen bekam, rollte die sich reaktionsschnell unter das Himmelbett, krabbelte darunter hindurch und kam auf der anderen Seite hastig wieder auf die Füße.
»Los!« zischte Sylvia der anderen Frau zu. Offenbar war sie die Spielchen leid. »Schnapp sie dir!«
Sandra nickte und näherte sich mit ausgebreiteten Armen, um dem Mädchen keine Möglichkeit zu geben, an ihr vorbeizukommen. Langsam schritt sie auf die Ecke des Gästezimmers zu, wo Jessica stand und verzweifelt nach einem Ausweg suchte.
»So jung«, sagte sie. »So rein und unverdorben…« Gier glänzte in Sandras Blick.
Jessica wartete, bis die Blonde bis auf ein halbes Dutzend Schritte an sie herangekommen war.
Dann rannte sie los, warf sich mit einem Hechtsprung zu Boden und schlitterte auf den polierten Holzbohlen mitten zwischen den Beinen der Schlangenfrau hindurch.
Dann sprang sie wieder auf die Füße und rannte, so schnell sie konnte, zur Zimmertür.
Schon nahmen Sylvia und die Blonde fluchend die Verfolgung auf.
Jessica lief aus dem Gästezimmer, stürmte den Gang entlang zur Treppe und hetzte, drei, vier Stufen auf einmal nehmend, ins Erdgeschoß hinunter.
Mit wie wild klopfendem Herzen rannte sie zum großen Portal in der Eingangshalle, durch das sie und ihr Freund vor einer Ewigkeit, so schien es, diese Hölle betreten hatten.
Jessica zerrte am Knauf der rechten Türhälfte.
Doch nichts rührte sich.
»O nein«, murmelte Jessica entgeistert. Ihr Atem ging vor Angst und Anstrengung stoßweise. »O bitte, nein…«
Voller Verzweiflung rüttelte sie mit beiden Händen an dem Griff, aber es hatte keinen Sinn.
Das Portal war verschlossen, der Fluchtweg abgeschnitten.
Was jetzt?
Sie sah sich hastig in der Halle um, während sie die beiden Schlangenfrauen bereits oben auf der Treppe hörte.
Sie lief zu dem Durchgang, in dem Sylvia nach ihrer Ankunft verschwunden war. Sie hastete einen nur schwach erhellten Korridor entlang, an dessen Wänden gewaltige Ahnenportraits hingen.
Schließlich bog sie um eine Ecke und - und wäre beinahe eine steile steinerne Treppe hinabgestürzt, die am Ende des Ganges in die Tiefe führte. Praktisch im letzten Moment gelang es ihr, ihren Sturz zu verhindern.
Unschlüssig stand sie am Kopf der Treppe und überlegte verzweifelt, was sie tun sollte.
Das gähnende Dunkel vor ihr, der Geruch nach Moder und Erde, der von unten herauf drang… Erfüllt mit Furcht und Schrecken fragte sie sich, ob sie wirklich diesen Weg einschlagen sollte.
Doch dann vernahm sie ganz in der Nähe schnelle Schritte, und da wußte sie, daß man ihr dicht auf den Fersen war.
Der
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