0599 - Die Kralle
für einen Reiter.«
»Da haben Sie recht. Bleiben Sie anschließend im Haus?«
»Natürlich.«
»Wann soll ich das Dinner…?«
»Überhaupt nicht, George. Wenn ich Hunger verspüre, komme ich in die Küche.«
Er lächelte. »Wie früher, Kind?«
»Ja!« rief sie und warf sich in seine Arme. »Wie früher.« Da konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Es ist alles so furchtbar, George. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich stecke in einer verflixten Klemme.«
Er streichelte ihre Schultern. »Vieles hat sich verändert. Sie sind nicht mehr das kleine Mädchen, das zu mir kam und mit mir über seine Probleme sprach.«
»Leider nicht.«
»Aber seien Sie versichert, Deliah, es wird schon alles gut werden. Daran glaube ich fest, und das sollten Sie auch tun, wenn ich Ihnen raten darf.«
»Hoffentlich.«
»Klar doch.«
Deliah löste sich von ihm, ging und schneuzte ihre Nase. George schaute ihr traurig nach. Ein armes Mädchen, trotz allem, dachte er.
Da fühlte er sich wohler.
Sie verließ das Haus und spürte die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Im Haus war es kühler gewesen, die dicken Mauern hatten sehr viel abgehalten, doch auf dem Rasen breitete sich eine Insel der Hitze aus. Erst bei den Ställen, wo das vorgezogene Dach Schatten spendete, war es kühler.
Drei Pferde waren in den nicht sehr hohen Bauten untergebracht worden. Deliah hörte das Schnauben der Tiere, was ihr überhaupt nicht gefiel. Wenn sie derartige Geräusche von sich geben, stimmte etwas nicht. Zudem stand die Tür ziemlich weit offen. Sie hatte sie aber beim Verlassen des Stalls geschlossen.
Trieb sich dort jemand herum?
Ihr Herz klopfte schneller. Seltsam, aber sie traute sich nicht, den Stall zu betreten.
Dann hörte sie Schritte. Hinter ihr waren sie aufgeklungen. Mit einem leisen Schrei auf den Lippen fuhr Deliah herum.
Nicht nur sie hatte sich erschreckt, auch der Aushilfsgärtner mit dem Schlapphut zuckte zusammen. Er war ein hagerer Mensch mit einem Gesicht, das in Kinnhöhe von einer breiten, roten Narbe entstellt wurde.
»Sorry, Miß, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich… ich wollte es nicht.« Er schob den Hut zurück.
»Schon gut. Waren Sie im Stall?«
Im Gesicht des Helfers zuckte es. »Was sagen Sie da? Ich soll im Stall gewesen sein?«
»Richtig.«
»Nein, auf keinen Fall. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich war… ich bin Gärtner.«
Deliah hob die Schultern. »Sie hätten trotzdem dort sein können. Zum Beispiel, um Wasser zu holen.«
»Da gibt es noch den Außenanschluß, den nehme ich immer. Lady.«
»Ja, ja, vergessen Sie es.«
»Kann ich jetzt gehen, Lady?«
»Sicher.«
Der Gehilfe schlich davon. Deliah drehte sich um und schaute ihm nach, wie der den Kopf nach vorn gedrückt und die Schultern hochgezogen hatte. Sie wußte auch nicht, weshalb, normalerweise trat sie Menschen vorurteilsfrei gegenüber oder versuchte es zumindest, aber in diesem Fall war es etwas anderes. Der neue Mann strömte etwas aus, das ihr persönlich Angst machte.
Vielleicht lag es auch daran, daß sie übernervös war und die Dinge anders sah.
Erst als der Helfer nicht mehr zu sehen war, betrat sie den Stall. Sie mochte das Halbdunkel und den typischen Geruch, der zwischen den Boxen und Wänden hing. Eine Mischung aus Pferdeschweiß, Heu und Sattelleder. Sogar das Summen der Fliegen unter der weißgekalkten Decke gehörte dazu.
Die Boxen lagen an der linken Seite und waren verriegelt. Über die Ränder hinweg schauten die Köpfe der Tiere. Die drei Pferde kannten Deliah gut. Senta stand in der letzten Box. Bevor Deliah zu ihr ging, mußte sie die beiden anderen begrüßen.
Die Tiere waren nervös. Sie spürte das, zu lange schon gehörten sie zum Haus. Da kannte sie jede Reaktion. Das Schnauben und Wiehern hörte sich anders an als sonst. Aggressiver, auch ängstlicher. Als Deliah dem ersten Pferd einen Klaps gegen den Hals geben wollte, wich es wie vor einer Fremden zurück.
Das wunderte sie, und sie schüttelte den Kopf. Auch das zweite Tier wollte nicht auf die übliche Art und Weise begrüßt werden, von Senta war nichts zu sehen.
Kein Kopf schaute über den Türrand der dritten Box. Eine kalte, unsichtbare Faust bohrte sich langsam in Deliahs Magen und raubte ihr einen Teil der Luft.
Hinter ihrer Stirn hämmerten die Gedanken. Da ist was passiert!
Da ist was passiert…!
Sie blieb vor der Tür stehen, streckte den Arm aus, um sie aufzustoßen, als sie zuvor noch einen Blick zu Boden warf.
Da
Weitere Kostenlose Bücher