06 - Denn keiner ist ohne Schuld
zu wagen. Weiß der Himmel allerdings, was auf uns wartet, wenn wir es nicht einmal schaffen, für eine Woche zusammen nach Korfu zu fliegen.«
»Ja, das tut mir leid. Und es tut mir auch leid, wie ich mich benommen habe. Ich hab mich heute morgen so eingeengt gefühlt.«
»Na, das bist du jetzt los.«
»Und dabei will ich das gar nicht. Dich los sein. Das will ich überhaupt nicht, Tommy.«
Sie seufzte. Es klang fast wie ein unterdrücktes Schluchzen. Helen hatte nur einmal in ihrem Leben geschluchzt, soviel er wußte - als junges Mädchen von einundzwanzig Jahren, als ihre Welt in Trümmer gegangen war, durch einen Autounfall, an dem er selbst beteiligt gewesen war -, und er zweifelte, daß sie jetzt seinetwegen zu schluchzen beginnen würde. »Ich wollte, du wärst hier.«
»Das wünschte ich mir auch.«
»Kommst du zurück? Morgen?«
»Ich kann nicht. Hat Denton es dir nicht gesagt? Ich habe hier mit einem Fall zu tun, oder etwas in dieser Art.«
»Dann wäre ich dir auch nur eine Plage, wenn ich käme.«
»Nein, eine Plage wärst du nicht. Aber es würde nicht gutgehen.«
»Wird denn je etwas gutgehen?«
Ja, das war die Frage. Er blickte zum Boden hinunter, starrte auf den Schmutz an seinen Schuhen, auf den Teppich mit dem Blumenmuster. »Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Und genau das ist das Teuflische. Ich kann dich bitten, alles mit einem Sprung ins Leere zu riskieren. Ich kann dir beim besten Willen nicht garantieren, was du dort vorfinden wirst.«
»Dann kann es niemand.«
»Jedenfalls niemand, der ehrlich ist. Wir können die Zukunft nicht vorhersagen. Wir können uns nur der Gegenwart anvertrauen und hoffen, daß sie uns in die richtige Richtung führt.«
»Glaubst du daran, Tommy?«
»Mit ganzem Herzen.«
»Ich liebe dich.«
»Ich weiß. Darum glaube ich daran.«
12
Maggie hatte Glück. Er kam allein aus dem Pub. Das hatte sie gehofft, seit sie sein Fahrrad gegen das weiße Tor gelehnt, durch das man auf den Parkplatz des Crofters Inn gelangte, entdeckt hatte. Es war gar nicht zu übersehen, ein Mädchenrad mit dicken Reifen, einst Augapfel von Nicks älterer Schwester, das er sich nach ihrer Heirat unter den Nagel gerissen hatte und auf dem er jetzt mit fliegender Bomberjacke und seinem Kofferradio am Lenker zwischen dem Dorf und der Skelshaw Farm hin und her zu radeln pflegte, ohne sich darum zu kümmern, wie komisch er darauf aussah. Meistens donnerten Rock 'n' Roll-Rhythmen von Depeche Mode aus dem Radio. Diese Gruppe hatte es Nick nämlich besonders angetan.
Als er aus dem Pub kam, spielte er an dem Radio herum, seine ganze Konzentration anscheinend darauf gerichtet, einen Sender zu finden, den er möglichst störungsfrei und möglichst laut hereinbekam. Liederfetzen von Simple Minds, UB 40, Fairground Attraction lösten einander ab, ehe er die richtige Musik fand, die vor allem aus hohen, schrillen Tönen einer elektrischen Gitarre bestand. Sie hörte Nick sagen: »Clapton, das geht schon«, und sah, wie er den Träger des Radios über die Lenkstange seines Fahrrads streifte. Er bückte sich, um sein linkes Schuhband zu binden, und diese Gelegenheit benutzte Maggie, um sich aus dem Schatten der Türnische des Pentagram Tearoom auf der anderen Straßenseite herauszuwagen. Sie war noch eine ganze Weile in Josies Versteck geblieben, nachdem diese gegangen war, weil sie im Restaurant und im Pub aushelfen mußte. Sie hatte vorgehabt, erst nach Hause zu gehen, wenn das Abendessen nicht mehr zu retten war und ihr Ausbleiben bei vernünftiger Überlegung nur noch Mord, Entführung oder offene Rebellion bedeuten konnte.
Zwei Stunden Verspätung nach dem Abendessen waren da gerade richtig. Ihre Mutter verdiente es.
Trotz dem, was sich gestern abend zwischen ihnen abgespielt hatte, hatte sie Maggie heute morgen wieder einen Becher mit diesem gräßlichen Tee auf den Tisch gestellt und gesagt: »Trink das, Margaret. Und zwar sofort. Eh du gehst.«
Sie wirkte hart und unerbittlich - aber wenigstens sagte sie jetzt nicht mehr, der Tee sei gut für ihre Knochen, auch wenn er scheußlich schmeckte, und enthielte alle Vitamine und Mineralien, die eine junge Frau brauchte. Diese Lüge war aus der Welt. Aber die eiserne Entschlossenheit ihrer Mutter war geblieben.
Ebenso allerdings die Maggies. »Ich trink den Tee nicht. Du kannst mich nicht zwingen. Vorher hast du's geschafft. Aber jetzt kannst du mich nicht mehr zwingen, das Zeug zu trinken.«
Ihre Stimme war hoch und schrill. Sie
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