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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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alten Männern, die zuschauen, wie die Frau im Gebüsch badet. Ich meine, die alten Männer waren im Gebüsch, nicht die Frau. Sie wollten gern mit ihr schlafen, weil sie so jung und so schön war, und obwohl sie selber schon so alt waren, hatten sie immer noch Lust darauf. Mr. Sage hat mir das erklärt. Er konnte gut erklären.«
    »Was hat er dir denn noch erklärt?«
    »Ach, einen Haufen über Männer. Zum Beispiel, wieso ich diese Gefühle für...«
    Sie brach ab. »Ach, alles mögliche eben.«
    »Er hat mit dir über deinen Freund gesprochen? Darüber, daß du mit ihm geschlafen hattest?«
    Sie senkte den Kopf und konzentrierte sich darauf, einen Zipfel ihres Pullovers zu einem festen Röllchen zu drehen. Ihr Magen knurrte. »Ich hab Hunger«, murmelte sie. Noch immer sah sie nicht auf.
    »Ihr müßt sehr gute Freunde gewesen sein, du und der Pfarrer«, sagte Lynley.
    »Er hat gesagt, daß es nicht schlecht ist. Er hat gesagt, daß Begehren und Lust was Natürliches sind. Er hat gesagt, daß alle Menschen es fühlen. Auch er selbst.«
    Wieder dieses Alarmsignal. Lynley beobachtete das Mädchen mit scharfer Aufmerksamkeit, während er versuchte, hinter jedes Wort zu sehen, das sie äußerte, und sich fragte, wieviel sie unausgesprochen ließ. »Wo habt ihr denn diese Gespräche geführt, Maggie?«
    »Im Pfarrhaus. Polly hat Tee gemacht und hat ihn uns ins Arbeitszimmer gebracht. Und wir haben Plätzchen gegessen und geredet.«
    »Ihr beide allein?«
    Sie nickte. »Polly hatte keine Lust, über die Bibel zu reden. Sie geht nicht in die Kirche. Aber wir natürlich auch nicht.«
    »Aber er hat mit dir über die Bibel gesprochen.«
    »Ja, weil wir Freunde waren. Mit seinen Freunden kann man über alles reden, hat er gesagt. Man kann seine Freunde daran erkennen, daß sie einem zuhören.«
    »Und du hast ihm zugehört. Er hat dir zugehört. Ihr hattet eine ganz besondere Beziehung zueinander.«
    »Wir waren Freunde.«
    Sie lächelte. »Josie hat gesagt, daß der Pfarrer mich lieber hätte als alle anderen in der Gemeinde, obwohl ich nicht mal zur Kirche ging. Sie war richtig eingeschnappt deswegen. Sie hat gesagt, wieso lädt er gerade dich zum Tee ein und geht mit dir wandern, Miss Maggie Spence? Ich hab gesagt, weil er eben einsam sei und ich seine Freundin sei.«
    »Hat er dir erzählt, er sei einsam?«
    »Das brauchte er gar nicht. Ich hab's gleich gesehen. Er hat sich immer so gefreut, wenn ich kam. Er hat mich immer umarmt, wenn ich wieder gegangen bin. Das war richtig schön.«
    »Du mochtest es, wenn er dich umarmte?«
    »Ja.«
    Er überlegte einen Moment, wie er das Thema am besten anschneiden konnte, ohne sie zu verschrecken. Robin Sage war ihr Freund gewesen, ihr Vertrauter. Was immer die beiden miteinander geteilt hatten, dem Mädchen war es heilig.
    »Ja, es tut gut, wenn einen jemand umarmt«, meinte er nachdenklich. »Es gibt kaum was Schöneres, wenn du mich fragst.«
    Er merkte, daß sie ihn beobachtete, und hätte gern gewußt, ob sie sein Zögern spürte. Gespräche dieser Art zu führen, war nicht gerade seine starke Seite. Sie rührten an Ängste und Tabus, und um damit zurechtzukommen, war das Fingerspitzengefühl eines Psychologen nötig. Er versuchte, sich auf dem unsicheren Boden vorwärtszutasten, und fühlte sich nicht besonders wohl dabei. »Freunde haben auch manchmal Geheimnisse, nicht wahr, Maggie, zum Beispiel Dinge, die sie voneinander wissen oder die sie sagen oder die sie zusammen tun. Manchmal sind es gerade die Geheimnisse und das Versprechen, sie nicht preiszugeben, die einen zu Freunden machen. War es bei dir und Mr. Sage auch so?«
    Sie schwieg. Er sah, daß sie wieder angefangen hatte, an der Innenseite ihrer Unterlippe zu lutschen. Ein Erdklumpen war von ihrem Schuh auf den Teppich gefallen. Sie hatte ihn mit den rastlosen Bewegungen ihrer Füße zu braunen Krümeln zerstampft. Mrs. Crone würde sich nicht darüber freuen.
    »Haben sie deiner Mutter Sorgen gemacht, Maggie? Die Versprechungen vielleicht? Oder die Geheimnisse?«
    »Er hat mich lieber gemocht als alle anderen«, sagte sie.
    »Hat deine Mutter das gewußt?«
    »Er hat gesagt, ich soll in die Jugendgruppe kommen. Er würde mit ihr sprechen, damit sie's mir erlaubt. Sie wollten einen Ausflug nach London machen. Er hat mich extra gefragt, ob ich mit will. Und eine Weihnachtsfeier wollten sie auch veranstalten. Er hat gesagt, da würde ich bestimmt kommen dürfen. Er hat mit meiner Mutter telefoniert.«
    »An dem Tag,

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