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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Beziehungen unterhielt, hatte der Mann die Schuldgefühle, die ihn sonst vielleicht an der Tat gehindert hätten, leicht ignorieren können.
    Maggie suchte Freundschaft und Anerkennung. Sie sehnte sich nach Wärme und Kontakt. Gab es für einen Mann ein besseres Angebot, seine körperliche Begierde zu stillen? Es mußte Robin Sage nicht unbedingt um Macht gegangen sein. Es mußte auch nicht zwangsläufig ein Beweis seiner Unfähigkeit gewesen sein, eine normale Erwachsenenbeziehung einzugehen. Es konnte schlicht und einfach menschliche Schwäche angesichts der Versuchung gewesen sein.
    Er hatte sie zum Abschied immer umarmt, hatte Maggie erzählt. Sie war ein Kind, dem seine Umarmungen gutgetan hatten. Daß sie tatsächlich in mancher Hinsicht längst über das Kindesalter hinaus war, hatte der Pfarrer vielleicht zu seiner eigenen Überraschung entdeckt.
    Und weiter, fragte sich Lynley. Sinnliche Erregung, die Sage nicht bezwingen konnte oder wollte? Die kribbelnde Verlockung, Kleider abzustreifen, um bloßes Fleisch zu sehen? Heißes Blut, das keinen vernünftigen Gedanken mehr zuließ und zum Handeln trieb? Und diese hinterlistige Stimme, die flüsterte: Was macht es denn schon aus, sie tut's ja sowieso schon, sie ist keine kleine Unschuld, es ist schließlich nicht so, als würdest du eine Jungfrau verführen, wenn es ihr nicht paßt, kann sie dir ja sagen, du sollst aufhören, drück sie doch einfach einmal fest an dich, damit sie dich fühlen kann und weiß, worum es geht, streichle ihr wie zufällig den Busen, schieb ihr eine Hand zwischen die Schenkel, erzähl ihr, wie schön es ist zu kuscheln, nur wir beide, Maggie, es soll unser ganz besonderes Geheimnis sein, du, meine liebste Freundin...
    Wie leicht konnte sich so etwas innerhalb von ein paar kurzen Wochen abgespielt haben. Sie lag im Streit mit ihrer Mutter. Sie brauchte einen Freund.
    Lynley lenkte den Bentley auf die Straße hinaus, fuhr bis zur Ecke und wendete, um zur Stadtmitte zurückzufahren. Es war möglich, dachte er. Aber im Augenblick waren auch noch alle anderen Möglichkeiten offen. Regel Nummer eins war von entscheidender Bedeutung. Daran gab es keinen Zweifel. Aber sie durfte Regel Nummer zwei nicht verdrängen.
    Er hielt nach einem Telefon Ausschau.

15
    Dicht unter dem Gipfel des Cotes Fell stehend, noch oberhalb des großen, aufrecht stehenden Steins, den man den Great North nannte, beschaffte sich Colin Shepherd all jene Erkenntnisse, die er seiner Faktensammlung über den Tod Robin Sages bisher anzufügen versäumt hatte: Wenn der Dunst sich lichtete oder wenn der Wind ihn auseinandertrieb, konnte man Cotes Hall und die umliegenden Ländereien ganz klar sehen, besonders im Winter, wenn die Bäume kahl waren. Ein paar Meter tiefer, wenn man an den Stein gelehnt eine Zigaretten- oder Verschnaufpause einlegte, sah man nur das Dach des alten Herrenhauses mit seinem Gewirr von Kaminen, Dachgauben und Wetterhähnen. Aber man brauchte nur ein kleines Stück höher zu steigen und sich unter dem bauchig gewölbten Felsvorsprung niederzusetzen, und man konnte alles sehen, das Herrenhaus selbst in seiner ganzen gespenstischen Verwahrlosung, den Hof, der es auf drei Seiten umgab, die ehemaligen Stallungen und Wirtschaftsgebäude. Zu letzteren gehörte das Verwalterhaus, und eben dorthin hatte Colin Inspector Lynley gehen sehen.
    Während Leo oben auf dem Gipfel herumstöberte, beobachtete Colin voll staunender Verwunderung über den klaren Blick, der sich ihm bot, wie Lynley vom Garten ins Gewächshaus ging. Von unten hatte es ausgesehen, als bildete der Nebel eine dichte Decke, die ein Vorwärtskommen behindern und den Blick versperren würde. Hier oben jedoch zeigte sich, daß die scheinbar undurchdringliche Decke so fein und fragil wie Spinnweben war. Der Nebel war feucht und kalt, sonst jedoch kaum von Belang.
    Er beobachtete alles, zählte die Minuten, die sie im Gewächshaus verbrachten, vermerkte den Besuch im Keller, die Tatsache, daß Juliet auch jetzt, als sie mit Lynley über den Hof ging, die Küchentür zum Haus, die nicht abgesperrt gewesen war, während sie im Gewächshaus gearbeitet hatte, nicht abschloß. Er sah, wie sie auf der Terrasse des Herrenhauses stehenblieben und miteinander sprachen, und als Juliet zum Teich hinunterwies, wußte er, was folgen würde.
    Und die ganze Zeit konnte er auch etwas hören. Nicht ihr Gespräch, aber ganz deutlich die Klänge von Musik. Selbst als ein plötzlicher Windstoß die Nebel

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