06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Constable war nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen. Er hatte seine eigenen Waffen und war kaltschnäuzig genug, sie zu gebrauchen.
»Haben Sie nach einer Verbindung zwischen den beiden gesucht, Mr. Shepherd? Haben Sie nach einer weniger erquicklichen Wahrheit gesucht als der, die Sie zutage gefördert haben?«
»Das Ergebnis meiner Ermittlungen hatte Hand und Fuß«, entgegnete er. »Clitheroe hat die Sache gesehen wie ich. Der Coroner ebenfalls. Was für eine Verbindung auch immer ich vielleicht übersehen habe, ich wette, sie führt zu einer anderen Person, und nicht zu Juliet Spence. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden...«
Er schwang sich in den Wagen und steckte den Schlüssel ins Zündschloß. Der Motor heulte auf. Die Scheinwerfer wurden hell. Krachend schaltete er in den Rückwärtsgang.
Lynley beugte sich in den Wagen hinein, um noch ein paar Worte zu sagen. St. James hörte nur ». Ihnen das hier.« und sah, wie sein Freund Shepherd etwas in die Hand drückte. Dann fuhr der Wagen zur Straße hinaus, wieder wurde krachend geschaltet, dann brauste der Constable davon.
Lynley sah ihm nach. St. James beobachtete Lynley. Dessen Gesicht war hart. »Ich bin meinem Vater nicht ähnlich genug«, sagte er. »Er hätte den Kerl auf die Straße hinausgeschleppt, wäre ihm ins Gesicht getreten und hätte ihm wahrscheinlich sechs oder acht Finger gebrochen. Das hat er einmal wirklich getan, weißt du, draußen, vor einem Pub in St. Just. Er war damals zweiundzwanzig. Irgendein Mann hatte Augustas Gefühle mit Füßen getreten, und da machte er kurzen Prozeß. ›Niemand bricht meiner Schwester das Herz‹, sagte er.«
»Aber eine Lösung ist das nicht.«
»Nein.«
Lynley seufzte. »Ich hab nur immer gedacht, es müßte so verdammt guttun.«
»Ja, aber nur für den Augenblick. Die Komplikationen folgen auf dem Fuß.«
Sie gingen wieder zum Pfarrhaus hinüber, wo Lynley den Karton an sich nahm. Etwa eine Viertelmeile die Straße hinunter konnten sie die roten Rücklichter des Landrovers sehen. Shepherd war aus irgendeinem Grund an den Straßenrand gefahren. Seine Scheinwerfer erleuchteten eine kahle Hecke. Sie warteten einen Augenblick ab, ob er weiterfahren würde. Als er es nicht tat, traten sie den Rückweg zum Gasthaus an.
»Und was kommt jetzt?« fragte St. James.
»London«, antwortete Lynley. »Das ist das einzige, was mir im Augenblick einfällt, da auch harte Bandagen bei den Verdächtigen offenbar keine nennenswerte Wirkung zeigen.«
»Läßt du das Havers machen?«
»Du meinst, weil ich von harten Bandagen spreche?«
Lynley lachte. »Nein, darum muß ich mich selbst kümmern, da ich sie auf meine Kosten nach Truro geschickt habe, wird sie vermutlich nicht gerade alles dransetzen, innerhalb der üblichen vierundzwanzig Polizeistunden hin- und wieder zurückzukommen. Ich würde sagen, drei Tage... Bei erstklassiger Unterkunft zweifellos. Darum werde ich mich selbst um London kümmern.«
»Wie können wir helfen?«
»Genießt euren Urlaub. Mach eine Tour mit Deborah. Nach Cumbria vielleicht.«
»Zu den Seen?«
»Ja, gute Idee. Aber ich hab mir sagen lassen, daß auch Aspatria im Januar recht hübsch ist.«
St. James lächelte. »Das wird ein verdammt anstrengender Tagesausflug. Da müssen wir spätestens um fünf raus. Dafür schuldest du mir dann was. Und wenn's dann nichts über die Spence zu holen gibt, schuldest du mir gleich doppelt.«
»Wie immer.«
Vor ihnen huschte eine schwarze Katze mit etwas Grauem, Schlaffem im Maul aus den Schatten zweier Häuser. Auf dem Bürgersteig ließ sie die Beute fallen und begann in der unbewußt grausamen Art aller Katzen, sie sachte mit den Pfoten anzustupsen, um sich noch einen Moment des Spiels zu gönnen, ehe sie den Überlebenshoffnungen ihres Opfers ein Ende bereitete. Das Tier erstarrte, als sie näher kamen, kauerte mit gesträubtem Fell wartend über seiner Beute. Als St. James hinunterblickte, erkannte er eine kleine Ratte, die hoffnungslos zwischen den Pfoten der Katze hing. Er dachte daran, die Katze zu verscheuchen. Dieses Todesspiel, das sie spielte, war unnötig herzlos. Aber Ratten, das wußte er, waren Krankheitsüberträger. Es war das Beste - wenn auch nicht das Barmherzigste -, die Katze ihr Werk vollenden zu lassen.
»Was hättest du getan, wenn Polly Shepherd beschuldigt hätte?« fragte St. James.
»Ich hätte das Schwein festgenommen. Ihn dem CID Clitheroe übergeben. Dafür gesorgt, daß er seine Stellung
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