Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
die Polizei holen?« fragte Rita. »Ich kann ihn jederzeit anrufen, das weißt du wohl. Aber ich hab so das Gefühl, es wär dir lieber, ich tu das nicht.«
    Polly nahm den Bademantel vom Haken und sperrte die Tür auf. Sie zog den Bademantel über und war gerade dabei, den Gürtel zu verknoten, als ihre Mutter die Tür aufdrückte. Hastig wandte Polly sich ab und zog den Gummi aus ihrem Haar, um es nach vorn fallen zu lassen.
    »Er war übrigens heute hier, der ehrenwerte Mr. C. Shepherd«, bemerkte Rita. »Angeblich hat er Werkzeug gesucht, um die Tür von unserem Geräteschuppen zu reparieren. Wirklich ein netter Kerl, unser Dorfpolizist. Weißt du vielleicht etwas darüber, Herzenskind?«
    Polly schüttelte den Kopf und zupfte an dem Gürtel. Sie sah auf ihre Hände hinunter und wartete darauf, daß ihre Mutter ihre Bemühungen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, aufgeben und gehen würde. Doch Rita hatte nichts dergleichen vor.
    »Ich finde, du solltest mit mir darüber reden, Kind.«
    »Worüber?«
    »Über das, was passiert ist.«
    Sie watschelte ins Badezimmer und schien den ganzen Raum mit ihrem Umfang, dem schwülen Duft ihres Parfüms, vor allem aber mit ihrer Energie auszufüllen. Polly versuchte, zur Abwehr ihre eigenen Energien zu mobilisieren, aber ihr Wille war schwach.
    Sie hörte das Klirren und Klimpern der Armreifen, als Rita ihren Arm hob. Sie zuckte nicht zusammen - sie wußte, ihre Mutter hatte nicht die Absicht, sie zu schlagen -, aber sie wartete mit Unbehagen auf Ritas Reaktion auf das schwache Kraftfeld ihres Körpers.
    »Du hast überhaupt keine Aura«, sagte Rita. »Und Wärme strahlst du auch keine aus. Dreh dich um.«
    »Rita, hör auf. Ich bin einfach müde. Ich hab den ganzen Tag geschuftet, und ich möchte jetzt ins Bett.«
    »Glaub ja nicht, du kannst mir was vormachen. Ich hab gesagt, du sollst dich umdrehen. Also los!«
    Polly machte noch einen Knoten in den Gürtel. Sie schüttelte den Kopf, so daß ihr das Haar noch weiter ins Gesicht fiel. Dann drehte sie sich langsam herum und sagte: »Ich bin doch nur müde. Und hab ein bißchen Schmerzen. Ich bin heute morgen in der Einfahrt vor dem Pfarrhaus ausgerutscht und hab mir das Gesicht aufgeschlagen. Das tut weh. Und im Rücken hab ich mir einen Muskel gezerrt oder so etwas. Ich dachte, ein heißes Bad würde...«
    »Heb deinen Kopf. Los, Kopf hoch!«
    Sie spürte die Kraft hinter dem Befehl, der sie kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Sie hob das Kinn, doch den Blick ließ sie gesenkt. Direkt vor sich sah sie den Bockskopf, der an der Halskette ihrer Mutter hing. Sie richtete ihre Gedanken auf den Bock, seinen Kopf, seine Ähnlichkeit mit der nackten Hexe in Pentagramm-Position, die Ausgangspunkt der Riten und Gebete war.
    »Nimm dein Haar aus dem Gesicht.«
    Polly gehorchte.
    »Sieh mich an.«
    Sie hob den Blick.
    Rita starrte ihrer Tochter ins Gesicht und sog pfeifend die Luft ein. Ihre Pupillen weiteten sich, bis von der Iris kaum noch etwas zu sehen war, dann zogen sie sich wieder zu winzigen schwarzen Pünktchen zusammen. Sie hob die Hand und folgte mit ihren Fingern dem brandroten Striemen, der sich sichelförmig von Pollys Auge zu ihrem Mund zog. Sie berührte ihn nicht, aber Polly empfand es wie eine Berührung. Sie fühlte die Finger, die einen Moment über dem geschwollenen Auge verweilten; die von ihrer Wange zu ihrem Mund hinunterwanderten. Schließlich schoben sie sich in ihr Haar, eine Hand auf jeder Seite ihres Kopfs, und diesmal fand wirklich eine Berührung statt, die in ihrem Schädel Vibrationen hervorzurufen schien.
    »Und was noch?« fragte Rita.
    Polly spürte, wie die Finger in ihrem Haar fester zupackten, dennoch sagte sie: »Nichts. Ich bin hingefallen. Das ist alles.«
    Aber ihre Stimme klang schwach und wenig überzeugend.
    »Mach den Bademantel auf.«
    »Rita!«
    Ritas Hände drückten, aber es tat nicht weh, vielmehr breiteten sich unter ihrer Berührung Wärmewellen aus, kreisförmig wie in einem Teich, wenn ein Stein in sein Wasser fällt. »Mach den Bademantel auf.«
    Polly zog den ersten Knoten auf, aber beim zweiten konnte sie nicht mehr. Ihre Mutter kam ihr zu Hilfe, öffnete den Gürtel mit ihren langen blaulackierten Fingern, die so unruhig waren wie ihr Atem. Sie schob den Bademantel von den Schultern ihrer Tochter und trat einen Schritt zurück, als er zu Boden glitt.
    »Große Mutter!« sagte sie und griff zu dem Bockskopf an ihrer Halskette. Der gewaltige Busen unter dem Kaftan wogte.
    Polly

Weitere Kostenlose Bücher