06 - Denn keiner ist ohne Schuld
senkte den Kopf.
»Das war er«, sagte Rita. »Das hat er getan, nicht wahr, Polly. Nachdem er hier war.«
»Laß sein«, sagte Polly.
»Lassen?« wiederholte Rita ungläubig.
»Ich habe nicht recht an ihm gehandelt. Meine Wünsche waren nicht rein. Ich habe die Göttin belogen. Sie hat es gehört, und Sie hat mich bestraft. Er war es nicht. Er lag in ihren Händen.«
Rita nahm sie beim Arm und drehte sie zum Spiegel über dem Waschbecken. Er war noch beschlagen, und Rita fuhr ein paarmal energisch mit der Hand über das Glas, wischte sie sich dann an ihrem Kaftan ab. »Sieh dir das an, Polly«, sagte sie. »Sieh es dir gut an. Los. Jetzt.«
Polly sah, was sie schon gesehen hatte. Den flammend roten Eindruck seiner Zähne auf ihrer Brust, die Blutergüsse, die Striemen von den Schlägen. Sie schloß die Augen, spürte, wie ihr die Tränen dennoch heraustraten.
»Glaubst du wirklich, daß Sie auf diese Weise straft, Kind? Glaubst du wirklich, Sie würde einem einen Vergewaltiger auf den Hals schicken?«
»Der Wunsch schlägt in dreifacher Stärke auf den zurück, der ihn ausgesprochen hat. Das weißt du doch. Ich habe nicht mit reinem Herzen gewünscht. Ich wollte Colin für mich haben, aber er hat Annie gehört.«
»Kein Mensch gehört irgend jemandem!« entgegnete Rita. »Und sie benützt nicht die Sexualität - die Urkraft ihrer Schöpfung - als Mittel zur Strafe. Du bist ja völlig verquer. Du siehst dich so, wie diese gräßlichen christlichen Heiden das verlangen: Nahrung für die Würmer... ein stinkender Misthaufen. Sie ist das Tor, durch das der Teufel eintritt. sie ist das, was der Stich des Skorpions ist... So siehst du dich jetzt, stimmt's? Als etwas, das niedergetrampelt werden muß. Etwas, das zu nichts taugt.«
»Ich habe mich an Colin versündigt. Ich habe den Kreis gezogen...«
Rita zog sie herum und packte sie energisch bei den Armen. »Und du wirst ihn wieder ziehen, jetzt gleich, mit mir zusammen. Für Mars. Wie ich's dir gelehrt hab.«
»Neulich abend hab ich ja Mars geopfert, wie du gesagt hast. Die Asche habe ich Annie gebracht. Und ich habe den Ringstein dazugelegt. Aber mein Herz war nicht rein.«
»Polly!«
Rita schüttelte sie. »Du hast nichts Unrechtes getan.«
»Ich hab gewünscht, daß sie stirbt. Und diesen Wunsch kann ich nicht zurücknehmen.«
»Und glaubst du etwa, sie selbst wollte nicht sterben? Sie war vom Krebs zerfressen. Du hättest sie nicht retten können. Niemand hätte sie retten können.«
»Doch, die Göttin hätte sie retten können. Wenn ich aufrichtig darum gebeten hätte. Aber das hab ich nicht getan. Darum hat sie mich bestraft.«
»Sei nicht naiv. Das, was dir passiert ist, ist keine Strafe. Das war böse. Und das Böse kam von ihm. Wir müssen dafür sorgen, daß er dafür bezahlt.«
Polly löste die Hände ihrer Mutter von ihren Armen. »Du darfst keinen Zauber gegen Colin verwenden. Das laß ich nicht zu.«
»Glaube mir, mein Kind, ich denke gar nicht an Zauber«, versetzte Rita. »Ich denke an die Polizei.«
Sie schwang ihre Körpermassen herum und steuerte auf die Tür zu.
»Nein!«
Polly zuckte zusammen vor Schmerz, als sie sich bückte, um den Bademantel vom Boden aufzuheben. »Du holst sie umsonst. Ich rede nicht mit ihnen. Kein einziges Wort sage ich.«
Rita drehte sich herum. »Jetzt hör mir mal zu.«
»Nein! Du hörst mir zu, Mama. Es ist ohne Bedeutung, was er getan hat.«
»Was! Ebensogut könntest du sagen, daß du keine Bedeutung hast.«
Polly zog den Gürtel des Bademantels fest zu. »Ja, Das weiß ich«, sagte sie.
»Tommy ist aufgrund dieser Verbindung zum Sozialdienst noch mehr als vorher davon überzeugt, daß ihre Gründe, den Pfarrer zu töten, mit Maggie zu tun haben.«
»Und was glaubst du?«
St. James öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und schloß ab, nachdem sie eingetreten waren. »Ich weiß nicht. Irgendwas stört mich da immer noch.«
Deborah streifte ihre Schuhe ab und ließ sich aufs Bett fallen. Sie zog die Beine hoch, kreuzte sie und rieb sich die Füße. »Ich hab das Gefühl, meine Füße sind zwanzig Jahre älter als ich«, sagte sie seufzend. »Die Leute, die Damenschuhe entwerfen, müssen Sadisten sein. Man sollte sie erschießen.«
»Die Schuhe?«
»Die auch.«
Sie zog einen Schildpattkamm aus ihrem Haar und warf ihn auf die Kommode. Sie trug ein grünes Wollkleid in der Farbe ihrer Augen, das weich ihren Körper umhüllte.
»Schon möglich, daß deine Füße sich anfühlen wie
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