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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Vergangenheit das Vorspiel für die Zukunft ist.«
    Er lockerte seine Krawatte, zog sie sich über den Kopf und warf sie zur Kommode hinüber. »Polly Yarkin hörte ein Telefongespräch, das Sage an dem Tag führte, an dem er starb. Er sprach von der Vergangenheit.«
    »Mit Mrs. Spence?«
    »Das vermuten wir. Er sprach von der Beurteilung...«
    St. James, der dabei war, sein Hemd aufzuknöpfen, hielt inne. Er versuchte sich der Worte zu erinnern, die Polly Yarkin zitiert hatte. »›Niemand kann beurteilen, was damals geschehen ist.‹«
    »Das Bootsunglück.«
    »Ich glaube, das ist es, was mich umtreibt, seit wir aus dem Pfarrhaus weggegangen sind. Diese Bemerkung paßt meiner Ansicht nach nicht zu seinem Interesse am Sozialdienst. Aber ich habe das Gefühl, daß sie von Bedeutung ist. Er hatte den ganzen Tag gebetet, erzählte uns Polly. Und er wollte nichts essen.«
    »Er hat gefastet.«
    »Ja. Aber warum?«
    »Vielleicht war er nicht hungrig.«
    St. James zog andere Möglichkeiten in Betracht. »Askese, Sühne.«
    »Wegen einer Sünde? Doch welche?«
    Er öffnete die letzten Knöpfe und warf das Hemd der Krawatte hinterher. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber ich wette, Mrs. Spence weiß es.«

WENN DIE VERGANGENHEIT WIEDERAUFERSTEHT

24
    Da er aufgebrochen war, noch ehe die Sonne über den Hängen des Cotes Fell aufgegangen war, erreichte Lynley gegen zwölf Uhr mittag den Stadtrand von London. Der Verkehr, der von Tag zu Tag chaotischer zu werden schien, verlangte ihm noch eine weitere Stunde Fahrzeit ab, und so war es kurz nach eins, als er am Onslow Square einen Parkplatz ergatterte, aus dem eben ein Mercedes mit eingedrückter Tür und einem Fahrer mit Halskrause herausfuhr.
    Er hatte sie nicht angerufen, weder von Winslough aus noch von unterwegs. Es sei ja noch viel zu früh, hatte er sich anfangs gesagt - wann war Helen je vor neun Uhr morgens aufgestanden, wenn es nicht unbedingt sein mußte? -, aber als die Stunden vergingen, hatte er sich neue Gründe überlegt und vorgegeben, er wolle auf keinen Fall, daß sie seinetwegen ihre Pläne für den Tag über den Haufen warf. Sie war nicht die Frau, die ihren Lebensinhalt darin sah, sich dem Herrn und Gebieter jederzeit zur Verfügung zu halten, und er hatte nicht die geringste Absicht, ihr diese Rolle aufzudrücken. Ihre Wohnung war schließlich nicht so weit von seinem Haus entfernt. Wenn sie nicht dasein sollte, konnte er ganz gemütlich zum Eaton Terrace weiterfahren und zu Hause zu Mittag essen. Er fand sich ungemein emanzipiert in seinen Überlegungen, aber das war natürlich auch viel einfacher, als unmittelbar die Wahrheit zuzugeben: Er wollte sie sehen, aber er fürchtete die Enttäuschung einer Absage.
    Er läutete und wartete, sah zum grauen Himmel hinauf und fragte sich, wie lang der Regen noch auf sich warten lassen würde und ob Regen in London Schnee in Lancashire bedeutete. Er läutete ein zweites Mal und hörte ihre Stimme, von der Sprechanlage verzerrt.
    »Du bist zu Hause«, sagte er.
    »Tommy!« rief sie, und schon summte der Türöffner.
    Sie erwartete ihn an ihrer Wohnungstür. Ungeschminkt, das Haar aus dem Gesicht genommen und von einer raffinierten Kombination aus Elastic- und Satinband zusammengehalten, sah sie aus wie ein Teenager. Und ihre ersten Worte waren wie eine Bestätigung dieses Eindrucks.
    »Ich hab heute morgen schon wahnsinnigen Krach mit meinem Vater gehabt«, sagte sie, als er sie küßte. »Ich wollte mich eigentlich mit Sidney und Hortense zum Mittagessen treffen - Sid hat in Chiswick ein armenisches Restaurant entdeckt, von dem sie behauptet, es sei absolut himmlisch, wenn die Kombination von armenischem Essen, Chiswick und Himmel überhaupt möglich ist -, aber dann kam gestern mein Vater, weil er hier geschäftlich zu tun hatte, und hat bei mir übernachtet, und daraufhin verbissen wir uns prompt heute morgen in neue ungeahnte Tiefen gegenseitigen Abscheus.«
    Lynley zog seinen Mantel aus. Sie hatte sich, wie er sah, wohl zum Trost schon am Mittag den seltenen Luxus eines Feuers geleistet. Auf einem Couchtisch vor dem offenen Kamin lag aufgeschlagen die Morgenzeitung neben zwei Tassen und den Überresten eines Frühstücks, das offenbar überwiegend aus zu hart gekochten Eiern, die angegessen liegengeblieben waren, und verbranntem Toast bestanden hatte.
    »Ich wußte gar nicht, daß ihr euch so wenig ausstehen könnt, du und dein Vater«, sagte er. »Ist das etwas Neues? Ich hatte immer eher den Eindruck,

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