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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Himmels, Constable«, sagte Lynley. »Danke.«
    Er hob das Megaphon. Er sah zum Stall hinüber. Kein Lichtschimmer war an den Türen zu sehen. Fenster gab es keine. Wenn sie drinnen war, dann war sie völlig abgeschlossen.
    Was, fragte er sich, sollte er sagen. Welche Kino-Albernheit würde wirken und sie bewegen herauszukommen? Sie sind umzingelt, Sie haben keine Hoffnung auf Entkommen, werfen Sie die Waffe heraus, wir wissen, daß.
    »Mrs. Spence«, rief er. »Sie haben eine Schußwaffe bei sich. Ich nicht. Wir stecken also in einer Sackgasse. Ich möchte Sie und Maggie hier herausholen, ohne daß jemandem etwas passiert.«
    Er wartete. Aus dem Stall kam kein Laut. Der Wind pfiff über das Dach.
    »Sie sind immer noch gut acht Kilometer von High Bentham entfernt, Mrs. Spence. Selbst wenn Sie die Nacht in dem Stall überleben sollten, wären Sie und Maggie morgen nicht in der Verfassung weiterzukommen. Das müssen Sie doch wissen.«
    Nichts. Aber er fühlte förmlich, wie sie überlegte.
    »Machen Sie es nicht noch schlimmer, als es schon ist«, sagte er. »Ich weiß, daß Sie das Maggie nicht antun wollen. Ihre Tochter friert, sie hat Angst und wahrscheinlich auch Hunger. Ich möchte sie jetzt gern ins Dorf zurückbringen.«
    Stille. Ihre Augen hatten sich gewiß längst an die Dunkelheit gewöhnt. Wenn er in den Stall einbrach und das Glück hatte, sie mit dem Strahl der Taschenlampe direkt ins Gesicht zu treffen, dann würde sie, selbst wenn sie abdrücken sollte, wohl kaum treffen. Das wäre eine Chance. Wenn er sie nur finden konnte, sobald er durch die Tür gebrochen war...
    »Maggie hat noch nie gesehen, wie jemand angeschossen worden ist«, rief er. »Sie weiß nicht, wie das ist. Sie hat noch nie eine Schußwunde bluten sehen. Beschützen Sie das kindliche Vorstellungsvermögen.«
    Er wollte mehr sagen. Daß er wußte, daß ihr Mann und ihre Schwester sie im Stich gelassen hatten, als sie sie am dringendsten gebraucht hatte; daß die Trauer über den Tod ihres kleinen Sohns ein Ende gefunden hätte, wenn sie nur einen Menschen gehabt hätte, der ihr darüber hinweggeholfen hätte; daß sie überzeugt gewesen war, in Maggies Interesse zu handeln, als sie das Baby an jenem lang zurückliegenden Abend aus dem Auto entwendet hatte. Aber er wollte ihr auch sagen, daß sie trotz allem nicht das Recht gehabt hatte, über das Schicksal eines Kindes zu bestimmen, das das Kind einer anderen Frau war; daß sie zwar vielleicht Maggie wirklich ein besseres Leben geboten hatte als ihre wahre Mutter, man das jedoch nicht mit Sicherheit sagen konnte; und daß Robin Sage eben deshalb, weil man es einfach nicht mit Sicherheit sagen konnte, entschieden hatte, daß hier dem Recht Genüge geleistet werden müsse, auch wenn es grausam war.
    Er wurde sich bewußt, daß er an dem, was in dieser Nacht geschehen würde, dem Mann die Schuld geben wollte, den sie vergiftet hatte, seinen Moralpredigten und seinem tölpelhaften Bemühen, die Dinge zu richten. Denn letztlich war sie so sehr sein Opfer wie er ihrs.
    »Mrs. Spence«, sagte er, »Sie wissen, daß wir hier am Ende angelangt sind. Machen Sie es nicht noch schlimmer für Maggie. Bitte. Sie wissen, daß ich in London war. Ich habe mit Ihrer Schwester gesprochen. Ich habe Maggies Mutter gesehen. Ich habe...«
    Ein Wimmern erhob sich plötzlich über den Wind. Unheimlich, wie aus einer anderen Welt, griff es direkt ans Herz und verdichtete sich dann zu einem einzigen Wort: Mom.
    »Mrs. Spence!«
    Und wieder ein Wimmern. Schrill vor Angst. »Mom. Ich hab Angst. Mom! Mom!«
    Lynley drückte Constable Garrity das Megaphon in die Hand. Er rannte durch das Tor. Und da sah er es. Eine schattenhafte Gestalt bewegte sich jetzt zu seiner Linken wie er selbst über der Mauer.
    »Shepherd!« schrie er.
    »Mom!« weinte Maggie.
    Der Constable rannte durch den Schnee direkt auf den Stall zu.
    »Shepherd!« schrie Lynley wieder. »Verdammt noch mal! Weg da!«
    »Mom! Bitte! Ich hab so Angst. Mom!« Shepherd erreichte die Stalltür im selben Moment, als der Schuß krachte. Er war drinnen, als sie ein zweites Mal schoß.

    Es war lange nach Mitternacht, als St. James endlich die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufstieg. Er glaubte, sie würde schlafen, aber sie erwartete ihn, wie sie gesagt hatte, im Bett sitzend, die Decke bis zur Brust hochgezogen, eine alte Ausgabe von Elle auf dem Schoß.
    »Ihr habt sie gefunden«, sagte sie, als sie sein Gesicht sah, und als er nickte und nur kurz »Ja« sagte,

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